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Heinrich Seidel Gedichte

Heinrich Seidel: * 25. Juni 1842 in Perlin; † 7. November 1906

Heinrich Seidel (November Gedichte)
November


Solchen Monat muss man loben;
Keiner kann wie dieser toben,
keiner so verdrießlich sein,
und so ohne Sonnenschein!
Keiner so in Wolken maulen,
keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie nass er alles macht!
Ja, es ist 'ne wahre Pracht.

Seht das schöne Schlackerwetter!
Und die armen welken Blätter,
wie sie tanzen in dem Wind
und so ganz verloren sind!
Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
und sie durcheinanderwirbelt
und sie hetzt ohn' Unterlass;
Ja, das ist Novemberspaß!

Und die Scheiben, wie sie rinnen!
Und die Wolken, wie sie spinnen
Ihren feuchten Himmelstau
Ur und ewig, trüb und grau!
Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen!
Und an jeder Traufe hängt
Trän' an Träne dicht gedrängt.

O, wie ist der Mann zu loben,
Der solch unvernünft'ges Toben
Schon im voraus hat bedacht
Und die Häuser hohl gemacht!
So dass wir im Trocknen hausen
Und mit stillvergnügtem Grausen
Und in wohlgeborgner Ruh
Solchem Gräuel schauen zu!

Heinrich Seidel (September Gedichte)
Im September


Wir wollen in den Nussbusch gehn
Und dort einmal zum Rechten sehn.
Das Eichhorn und der Häher
Sind arge Nüssespäher,
Der Buntspecht und die Haselmaus,
Die lieben auch den Nusskernschmaus!
Sie nagen und sie zwicken,
Sie hacken und sie picken,
Und wer nicht kommt zur rechten Zeit,
Geht, wie ihr wisst, der Mahlzeit queit.

Wir wollen in den Garten gehen
Und dort einmal zum Rechten sehn.
Zur Nachtzeit war es windig!
Nun seht nur her! Was find ich
Im sand’gen Steig, im grünen Gras,
Bald hier, bald dort? Was ist denn das?
Äpfel mit roten Stirnen
Und goldgestreifte Birnen!
Und dort beim Eierpflaumenbaum ...
O seht nur hin! Man glaubt es kaum!

Wir wollen an den Zaun hin gehn
Und dort einmal zum Rechten sehn.
Was steht denn gleich dahinter?
O seht, zwei arme Kinder!
Sie ladet hinter ihrem Haus
Kein Garten ein zu frohem Schmaus.
Da sollte man doch denken:
Heut’ gibt’s was zu verschenken!
Und merkt ihr erst, wie wohl das tut,
Da schmeckt es euch noch mal so gut.

Heinrich Seidel (Natur Gedichte)

Wie schön ist doch das Fliegen
Die Schmetterlinge fliegen
Um bunte Blumen schweben sie,
Im Sonnenscheine leben sie
In linder Luft
Und lauter Duft.
Sie flattern und sie kosen
Und küssen alle Rosen.
Der Schmetterling, das leichte Blut,
Der hat es gut!

Die schlanken Schwalben fliegen
Durch blaue Lüfte streifen sie,
Um stolze Türme schweifen sie.
Im Herbste ziehn
Sie fort und fliehn
Weit über Meer und Hügel
Zum Süd mit leichtem Flügel,
Wo Palmen und Orangen blühn
Im ew'gen Grün.

Die edlen Falken fliegen
Hoch über Wolken reisen sie,
In Ätherhöhen kreisen sie,
Wo auf die Welt
Vom Himmelszelt
Sie stolz herniederschauen
Auf Wälder, Seen und Auen
Als Herrscher in dem Luftrevier
Ob dem Getier.
Wie schön ist doch das Fliegen!

Doch was geschah? Die Schwalbe fing
Mit einem Mal den Schmetterling,
Der Falk im Flug
Die Schwalbe schlug,
Die Büchse hört ich knallen,
Den Falken sah ich fallen,
Und mit dem Fliegen war's vorbei
Ich dacht: „Ei, ei!"

Heinrich Seidel (Nordsee Gedichte)
Vom Hering


Der Hering ist ein salzig Tier,
er kommt an vielen Orten für.
Wer Kopf und Schwanz kriegt, hat kein Glück.
Am besten ist das Mittelstück.

Es gibt auch eine saure Art,
in Essig wird sie aufbewahrt.
Geräuchert ist er alle Zeit
ein Tier von großer Höflichkeit.

Wer niemals einen Hering aß,
wer nie durch ihn von Qual genas,
wenn er mit Höllenpein erwacht,
der kennt nicht seine Zaubermacht!

Drum preiset ihn zu jeder Zeit,
der sich der Menschheit Wohl geweiht,
der heilet, was uns elend macht,
dem Hering sei ein Hoch gebracht!

Heinrich Seidel (Tiergedichte)
Löwenmacher


Drei Brahmanensöhne gingen,
wohl geschickt in allen Dingen,
wandern in die weite Welt.
Sie gedachten, vieles Geld
Dort,vermöge ihre Kunst,
Ehrenstellen, Fürstengunst,
Ruhm und Beifall zu erlangen
und dereinst im Glück zu prangen.

Was im Kopf nur wollte haften
von geheimen Wissenschaften,
hatten alles sie gelernt,
jahrelang der Welt entfernt.
In der schwarzen Kunst Bereich
tat es ihnen keiner gleich,
und was war und was gewesen,
alles hatten sie gelesen.

Eines Tags mit schnellen Tritten
kam ein Wandersmann geschritten,
schloss sich diesen dreien an.
"Sprich, wer bist du, fremder Mann?"
Dieser gab das Wort zurück:
"Fürstengunst und Ruhm und Glück
in der Welt mir zu gewinnen,
zieh ich aus mit leichten Sinnen!"

"Sprich,was lerntest du,was weißt du?
Welcher Künste Meister heißt du?"
"Lernen tat ich nichts, ihr Herrn!
Ich vertraue meinem Stern.
Ich bin pfiffig und gewandt,
und gesund ist mein Verstand,
Das genügt bei allen Sachen,
um damit sein Glück zu machen!"

"Ach, umsonst ist all dein Streben!
Dafür wird kein Mensch was geben!
Wandre nur in guter Ruh
wieder deiner Heimat zu!
Aber wir - wir sind gelehrt!
Uns're Kunst ist Goldes wert!
Der Verstand ist das Gemeine,
doch Gelehrsamkeit das Feine!"

Als sie eben so gesprochen,
fanden eines Löwen Knochen
sie am Wege rings verstreut,
und der eine rief erfreut:
"Ha, nun zeiget diesem Mann,
was ein jeder von uns kann!
Ward uns doch die Kunst gegeben,
diesen Löwen zu beleben!"

Und die Knochen nahm der eine,
legte sorgsam Bein zu Beine,
und der zweite fügte dann
Fleisch und Fell behutsam an.
Doch der dritte sprach: "Nun seht,
was ein weiser Mann versteht!
Jetzt will ich in seine Nasen
den lebend'gen Odem blasen!"

Doch der Fremde rief: "Ihr wisst es,
denkt daran, ein Löwe ist es!
Glaubet mir, er frisst euch auf!"
Doch der dritte schrie darauf:
"Meinest du, der Weisheit Kraft
und die Kunst der Wissenschaft
soll in meinen Händen schlafen,
da wir es so günstig traten?!"

"Ach,entschuldigt, " sprach der vierte,
"wenn ich ungelehrsam irrte.
Gebt mir eines Weilchens Raum,
bis ich stieg auf jenen Baum!"
Als er saß auf sich'rem Ast,
rief der dritte: "Aufgepasst!
Jetzt wird meine Kunst das Leben
diesem toten Löwen geben!"

Hei! wie sich das Untier reckte
und die mächt'gen Glieder streckte,
mit dem Schweif die Flanken schlug
und so stolz die Mähne trug!
Brüllte darauf grauenhaft,
schlug mit seiner Pranken Kraft
alle drei zu Boden nieder
und verzehrte ihre Glieder. -

Als der Löwe fortgegangen,
stieg der Fremde ohne Bangen
von dem sicher'n Ast herab,
griff zu seinem Wanderstab,
sprach: "Zwar bin ich ungelehrt,
doch Verstand ist auch was wert!
Hätt' ich solche Kunst besessen,
wär' auch ich mit aufgefressen!"

Heinrich Seidel (Wintergedichte)
Mein Freund, der Winter


Es ist der Trennungstag schon da,
Da schreibt besorgt die Frau Mama:
Schnee liegt in allen Gleisen,
Der Winter ist so grimm und starr,
Bleib nur mein Töchterchen! Fürwahr
Mein Schatz du darfst nicht reisen!

Du alter Freund im Silberbart,
Du meinst es gut du Eisenhart,
Dich Winter will ich preisen!
Es drohte Trennung dem Verband,
Du frierst ihn wieder aneinand:
Mein Schatz, der darf nicht reisen.

Du rauhbereifter Nordgesell
Dein Frost ist mir ein Feuerquell,
Hold deine rauhen Weisen;
Schick Eis und Kälte, dass es klingt
Und dass mein Herze springt und singt:
Mein Schatz der darf nicht reisen.

Nun lache Tags mit Sonnenschein!
Und glitzre Nachts mit Sternelein!
Sei streng wie Stahl und Eisen!
Ich will dir wünschen, was dir frommt,
Dass nicht der Dieb der Tauwind kommt -
Und meinen Schatz lässt reisen.

Heinrich Seidel (Frühling Gedichte)
Frühling

Was rauschet, was rieselt, was rinnet so schnell?
Was blitzt in der Sonne? Was schimmert so hell?
Und als ich so fragte, da murmelt der Bach:
„Der Frühling, der Frühling, der Frühling ist wach!"

Was knospet, was keimet, was duftet so lind?
Was grünet so fröhlich? Was flüstert im Wind?
Und als ich so fragte, da rauscht es im Hain:
„Der Frühling, der Frühling, der Frühling zieht ein!"
Was klingelt, was klaget, was flötet so klar?
Was jauchzet, was jubelt so wunderbar?
Und als ich so fragte, die Nachtigall schlug:
„Der Frühling, der Frühling!" - Da wusst' ich genug!

Heinrich Seidel (Jahreszeiten Gedichte)
Jahreszeiten


Grüner Frühling kehret wieder, bringt uns Blüten ohne Zahl,
Und sein fröhliches Gefieder jauchzt in Wald und Wiesental,
Jubelt ob dem Saatenfeld: O, wie herrlich ist die Welt!

Goldner Sommer, da in Bogen hoch die Sonne glänzend geht,
Und mit windbewegten Wogen sanftes Flüstern heimlich weht,
Durch das reiche Ährenfeld: O, wie herrlich ist die Welt!

Brauner Herbst, wo Früchte drängen sich im Garten und im Wald,
Wo von sanften Rebenhängen froh das Lied der Winzer schallt
Über das geleerte Feld: O, wie herrlich ist die Welt!

Weißer Winter - schneeverhangen liegt die Welt in stillem Traum;
In demantnem Glanze prangen Wald und Wiese, Busch und Baum,
Und im Silberschein das Feld: O, wie herrlich ist die Welt!

Ob der Frühling grünt und blühet, Sommer steht in goldnem Kleid,
Ob der Herbst in Farben glühet, ob's im Winter friert und schneit -
Glücklich, wem es stets gefällt: O, wie herrlich ist die Welt!

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