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Anna Ritter Gedichte

Anna Ritter: * 23. Februar 1865 in Coburg; † 31. Oktober 1921

Anna Ritter (Weihnachtsgedichte)
Christkindchen


Wo die Zweige am dichtesten hangen,
die Wege am tiefsten verschneit,
da ist um die Dämmerzeit
im Walde das Christkind gegangen.

Es musste sich wacker plagen,
denn einen riesigen Sack
hat's meilenweit huckepack
auf den schmächtigen Schultern getragen.

Zwei spielende Häschen saßen
geduckt am schneeigen Rain.
Die traf solch blendender Schein,
dass sie das Spielen vergaßen.
Doch das Eichhorn hob schnuppernd die Ohren
und suchte die halbe Nacht,
ob das Christkind von all seiner Pracht
nicht ein einziges Nüsschen verloren.

Anna Ritter (Weihnachtsgedichte)
Vom Christkind


Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen!
Es kam aus dem Walde, das Mützchen voll Schnee,
mit rotgefrorenem Näschen.
Die kleinen Hände taten ihm weh,
denn es trug einen Sack, der war gar schwer,
schleppte und polterte hinter ihm her.
Was drin war, möchtet ihr wissen?
Ihr Naseweise, ihr Schelmenpack -
denkt ihr, er wäre offen der Sack?
Zugebunden bis oben hin!
Doch war gewiss etwas Schönes drin!
Es roch so nach Äpfeln und Nüssen!

Anna Ritter (Glück Gedichte)
Die Glocke des Glücks


Viele Glocken hör' ich läuten,
Nun es Abend werden will -
Eine nur will nimmer klingen,
Eine nur ist ewig still.

Tiefe Glocke meines Glückes:
Einmal noch zur Abendzeit
Singe über meinem Hügel
Jenes Lied voll Seligkeit.

Dem ich meine junge Stirne
Lauschend einst empor gewandt,
Da ich noch auf hellen Wegen
Schritt an meines Liebsten Hand.

Anna Ritter
Ein Vöglein singt im Wald


Ein Vöglein singt im Wald,
singt Lieb' und Leiden,
ich weine für mich hin -
Du willst ja scheiden.
Viel Rosen blühen rot -
ich pflücke keine,
brauch weder Schmuck noch Zier,
so ganz alleine.
Hab' dich so lieb gehabt
und willst doch wandern,
suchst nun dein Fröhlichkeit,
dein Glück bei Andern.

Anna Ritter
Gefaltete Hände


Es hat mich heut nicht schlafen lassen -
Das alte Weh kam über mich,
Dass ich mit heimatlosen Schritten
Mich an des Kindes Bettchen schlich.
Da sank ich hin in dunkler Nacht
Und habe in die weißen Kissen
In wildem Schmerz hinein gebissen ...
Der du so elend mich gemacht,
So viele Fäden mir zerrissen,
So viele Wege mir verstellt -
Du wirst, o Herr, die Gründe wissen!
Du lenkst die weite, große Welt
Nach ewig gültigen Gesetzen,
Du wirst dies arme Frauenherz
Nicht planlos, ziellos durch den Schmerz,
Durch Elend und Verzweiflung hetzen!
Wenn ich in Liebe um den Einen
Den Himmel, Herr, und dich vergaß,
Zu viel des Glückes mich vermaß
Und nicht genug zu dir gefleht -
Ist nicht auch L i e b e ein Gebet,
Vielleicht das heiligste der Erde?
Suchst du im Staube nur die Deinen,
Muss erst am Grabe ihres Glücks
Die arme Menschenseele weinen,
Auf dass sie deiner würdig werde
Und in Verklärung aufersteht?

Anna Ritter (Weihnachtsmanngedichte)
Schlittenfahrt


Ein feiner Dunst liegt in der Luft,
Der Wald steht tief in Träumen,
Nur manchmal löst im Abendwind
Ein zitternd Flöckchen sich und rinnt
Schlaftrunken von den Bäumen ...

Die Peitsche knallt, der Schlitten saust,
Die Silberschellen klingen,
Wir sitzen, Arm an Arm geschmiegt,
Ein blasses Winterseelchen fliegt
Um uns mit weißen Schwingen
Und spricht:
Wie heiß euer Atem weht!
Mein kaltes Kleidchen zergeht
Vor seinem Hauch;
Es schlagen Flammen
Aus euren Augen,
Und eure Hände
Und eure Seelen
Die glühen auch. -
Wir sind so kühl ...
Schnee unser Pfühl,
Schnee unsre Speise;
Und unser Herzchen schlägt
Unter dem weißen Kleid
Ganz leise. -
Wenn die Sonne scheint,
Ziehn wir erschrocken
Die Mützchen über das Ohr,
Fassen uns an und hocken
Unter den Zweigen. -
Aber der Vater weint ...
Der Vater ist alt
Und die Mutter jung,
Und die Sonne weckt
Die Erinnerung
An das lachende Leben!
Dann liegt sie unter den weißen Decken
So traumhaft schön,
Kleine, kichernde Seufzer wehn
Um ihrem Mund, die Hände recken
Sich sehnsüchtig aus,
Und über der Brust, der große Strauß
Eisiger Blüten nickt dazu:
"Schlafe, liebe Königin du ...!"
Aber der Vater weint!
"Wir fürchten uns,
Wenn die Sonne scheint ..."

Die Peitsche knallt, der Schlitten saust,
Das Seelchen ist zerstoben,
Unmerklich hat die Winternacht
Die ganze, weiße Märchenpracht
Mit Dunkelheit umwoben.

Zu Tale gehts, es stäubt der Schnee,
Die Silberschellen klingen,
Am Wege blitzen Lichter auf,
Der Lärm der Stadt wacht brausend auf,
Und kleine Buben singen:
"Morgen kommt der Weihnachtsmann ..."

Anna Ritter (Tier Gedichte)
Das Eselein


Auf einem Wiesengrund ging einmal
Ein muntres Rösslein weiden,
Ein Schimmelchen war's, doch etwas fahl,
Sein Äußeres nenn' ich bescheiden,
Das schlechteste und auch das beste nicht,
Wir wollen nicht drüber zanken,
Doch hatt' es ein klares Augenlicht
Und starke geschmeidige Flanken.

In selbem Grunde schritt oft und viel
Ein edler Jüngling spazieren,
Hinter jedem Ohre ein Federkiel,
Das tät ihn wunderbar zieren!
Am Rücken ein Gänseflügelpaar,
Die täten rauschen und wedeln,
Und wisst, seine göttliche Gabe war,
Die schlechte Natur zu veredeln.

Den Tropfen, der seiner Stirne entrann,
Den soll wie Perle man fassen,
Ach, ohne ihn hätte die Sonne man
So simpel hin scheinen lassen,
Und ohne ihn wäre der Wiesengrund
Ein nüchterner Anger geblieben,
Ein Quellchen blank, ein Hügelchen rund
Und eine Handvoll Maßlieben!

Er aber fing im Spiegel den Strahl
Und ließ ihn zucken wie Flammen,
Die ruppigen Gräser strich er zumal
Und flocht sie sauber zusammen,
An Steinen schleppt' er sich krank und matt,
Für ein Ruinchen am Hügel,
Dem Hasen kämmt' er die Wolle glatt
Und frisiert' den Mücken die Flügel.

So hat er mit saurem Schweiß und Müh'
Das ganz Gemeine verbessert,
Und klareres Wasser fand man nie,
Als wo er schaufelt' und wässert',
Und wie's nun aller Edlen Manier,
Sich mild und nobel zu zeigen,
So, sei's Gestein, Mensch oder Tier,
Er gab ihm von seinem Eigen.

Einst saß er mit seinem Werkgerät,
Mit Schere, Pinsel und Flasche,
In der eine schwärzliche Lymphe steht,
Mit Spiegel, Feder und Tasche;
Er saß und lauschte, wie in der Näh'
Mein Schimmelchen galoppieret;
Auf dem Finger pfiff er: "Pst, Pferdchen, he!
Und wacker kam es trottieret.

Dann sprach der Edle: Du wärst schon gut,
'Ne passable Rosinante,
Nähm' ich dich ernstlich in meine Hut,
Dass ich den Koller dir bannte;
Ein leiser Traber ein schmuckes Tier
Ein unermündeter Wandrer!
Kurz, wenig wüsst' ich zu rügen an dir,
Wärst du nur völlig ein andrer.

"Drum sei verständig, trab heran
Und lass mich ruhig gewähren,
Und sollt's dich kneipen, nicht zuck' mir dann,
Du weißt, oft zwicken die Scheren."
Mein Schimmelchen stutzt, es setzt seitab,
Ein paarmal rennt es in Kreisen,
Dann sachte trabt es den Anger hinab,
Dann stand es still vor dem Weisen.

Der sprach: "Dein Ohr ein armer Stumpf!
Armselig bist du geboren!
Kommandowort und der Siegestriumph,
Das geht dir alles verloren."
Drauf rüstig setzt' er die Zangen an
Und zerrt' und dehnte an beiden;
Mein Schimmelchen ächzt und dachte dann:
"O wehe, Hoffart muss leiden!"

"Auch deine Farbe erbärmlich schlecht!
Nicht blank und dennoch zu lichte,
Nicht für die romantische Dämmrung recht
Und nicht für die klare Geschichte."
Drauf emsig langt' er den Pinsel her
Und mischte Schwarz zu dem Weißen;
Mein Schimmelchen zuckt, es juckt ihn sehr,
Doch dacht' es: "Wie werd' ich gleißen!"

"Und gar dein Schweif unseliges Vieh!
Der flattert und schlenkert wie Segel,
Ich wette, du meinst dich ein Kraftgenie,
Und scheinst doch andern ein Flegel."
Drauf mit der Schere, Gang an Gang,
Beginnt er hurtig zu zwicken,
Hinauf hinunter, die Wurzel entlang,
Von der Kuppe bis an den Rücken.

Dann spricht er freudig: "Mein schmuckes Tier,
Mein Zelter, edel wie keiner!"
Und eilends langt er den Spiegel herfür:
"Nun sieh und freue dich deiner!
Nun bist ein Paraderösslein, bass
Wie eines von Münster bis Wesel."
Der Schimmel blinzt und schaut ins Glas
O Himmel, da war er ein Esel!

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