Clemens Brentano Gedichte
Clemens Brentano: *09.09.1778;†28.07.1842
Clemens Brentano
(Abendgedichte)
Abendständchen
Hör, es klagt die Flöte wieder,
und die kühlen Brunnen rauschen!
Golden weh'n die Töne nieder,
stille, stille, lass uns lauschen!
Holdes Bitten, mild Verlangen,
wie es süß zum Herzen spricht!
Durch die Nacht, die mich umfangen,
blickt zu mir der Töne Licht!
Clemens Brentano (Frühlingsgedichte)
Frühling
Frühling soll mit süßen Blicken
Mich entzücken und berücken,
Sommer mich mit Frucht und Myrthen
Reich bewirten, froh umgürten.
Herbst, du sollst mich Haushalt lehren,
Zu entbehren, zu begehren,
Und du Winter lehr mich sterben,
Mich verderben, Frühling erben.
Clemens Brentano (Frühlingsgedichte)
Als mir dein Lied erklang
Dein Lied erklang, ich habe es gehöret
Wie durch die Rosen es zum Monde zog.
Den Schmetterling, der bunt im Frühling
flog
Hast du zur frommen Biene bekehret.
Zur Rose ist mein Drang
seit nur dein Lied erklang.
Clemens Brentano (Glück
Gedichte)
Hörst du wie die Brunnen rauschen
Hörst du wie die Brunnen rauschen,
Hörst du wie die Grille zirpt?
Stille, stille, lass uns lauschen,
Selig, wer in Träumen stirbt.
Selig, wen die Wolken wiegen,
Wem der Mond ein Schlaflied singt,
O wie selig kann der fliegen,
Dem der Traum den Flügel schwingt,
Dass an blauer Himmelsdecke
Sterne er wie Blumen pflückt:
Schlafe, träume, flieg', ich wecke
Bald Dich auf und bin beglückt.
Clemens Brentano
(Liebesgedichte)
Als ich in tiefen Leiden...
Als ich in tiefen Leiden
Verzweifelnd wollt ermatten,
Da sah ich deinen Schatten
Hin über meine Diele gleiten,
Da wusst ich, was ich liebte,
Und was so schrecklich mich betrübte,
O Wunder aller Zierde,
Du feine ernste Myrte.
Clemens Brentano (christliche Gedichte über Gott)
Vor dem ersten Aderlasse am Tage vor dem Abendmahl
Was ich tue, was ich denke,
Alles, was mit mir geschieht,
Herr! nach deinem Auge lenke,
Das auf meine Wege sieht.
Clemens Brentano (Heilige
drei Könige Gedichte)
An eine schöne Erscheinung am Dreikönigstage
Nicht allen war der Himmel gleich geneigt,
Und jeglichem ist andre Pflicht gegeben,
Wie mancher betet an, wie manche Lippe schweigt,
Der andere darf nur die Blicke heben.
Der König Gold, der Weise Myrrhen reicht,
Und Weihrauchwolken lässt der Melchior schweben.
Der Kinder Lallen und der Liebe Stammeln,
Des Sängers Lied muss sich zum Dienste sammeln.
Es hat der Herr sich eine Welt erbaut,
Er hat sie mit der Schönheit ausgeschmücket,
Er hat sie dem Gesetze anvertraut,
Sein Siegel auf des Menschen Stirn gedrücket.
O selig, wer in solche Augen schaut,
Die solche Seligkeit der Welt entzücket,
Ihm ist der Herr, ihm ist das Reich erschienen,
Er weiß, er weiß, wo's lieblich ist zu dienen.
Wie gütig ist der Herr, der überall.
Da wo ich bin, da will er mir erscheinen,
Und wo ich sing, grüßt ihn der Silben Hall,
Und wo ich denke, kann ich ihn nur meinen,
Ihn lob ich lachend mit der Freude Schall,
Ihn ehrt der Trauer still bescheidnes Weinen.
Und was mich rührte, darf ich stolz auch singen,
Denn nur zu ihm erheben sich die Schwingen.
Mir ward ein Aug, was herrlich ist, zu sehen,
Ein Herz ward mir, was würdig ist, zu hegen,
Die Sonne will mir auf- und untergehen,
Der Anmut geh ich treu und fromm entgegen;
Vor dir, du schöner Mensch, mag gern ich stehen,
Dir, mir zulieb nicht, nein, nur Gottes wegen.
Sei irdisch Himmel mir, und himmlisch Erde,
Dass Freundesdienst ein Gottesdienst mir werde.
Clemens Brentano (Frühlingsgedichte)
Vor einem Madonnenbilde
Ach! so fühlst du ihn denn auch
Diesen Glanz, so keusch und milde
Wie des Schöpfers Lebenshauch
Auf dem ersten Ebenbilde.
Also hob im ersten Tau,
Wie ein Kind im Heiligtume,
Auf des Paradieses Au
Still ihr Haupt die erste Blume.
Ach! dies ist kein irdscher Glanz,
Unerneuert, unverloren,
Ewig aus dem Lichte ganz
Vor der Sünde ausgeboren.
Dieses Weiß und dieses Rot
Ist noch nie gerichtet worden,
Keine Sünde und kein Tod
Kann je dieses Leben morden.
Nie erröten wird dies Weiß,
Dieses Rot wird nie erbleichen,
Denn in diesen Farbenkreis
Kann nicht Scham, nicht Schrecken reichen.
Aus dem Himmelgarten sind
Diese tiefen Blumenfarben,
Die zum Kranz das fromme Kind
Nahm aus reifer Ähren Garben.
Diese Anmut ist kein Schein,
Ist auch nicht der Glanz der Jugend;
Nichts vermag so schön zu sein,
Als der ewge Glanz der Tugend.
Clemens Brentano (Gedichte)
Ans Vaterland
Was wäre der Dichter wunderbar Spiel,
Zög's nicht wie Sonne durch innere Nacht;
Was wohl der Zauber in Ton und Lied,
Der wie der Frühling über Gräber
hinzieht,
Wenn er die Lebendigtoten nicht weckte,
Und nicht die feigen Schlummernden schreckte.
Stehet auf! stehet auf! so rufet die Zeit,
Es ist der Richttag, der Herr ist nicht weit.
Clemens Brentano (Hochzeitsgedichte)
Brautgesang (Szene)
Komm heraus, komm heraus, o du schöne, schöne
Braut,
Deine guten Tage sind nun alle, alle aus.
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
Oh, wie weinet die schöne Braut so sehr!
Musst die Mägdlein lassen stehn,
Musst nun zu den Frauen gehn.
Lege an, lege an heut auf kurze, kurze Zeit
Dein Seidenröslein, dein reiches Brautgeschmeid.
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
Oh, wie weinet die schöne Braut so sehr!
Musst die Zöpflein schließen ein
Unterm goldnen Häubelein.
Lache nicht, lache nicht, deine Gold- und Perlenschuh
Werden dich schön drücken, sind eng genug dazu.
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
Oh, wie weinet die schöne Braut so sehr!
Wenn die andern tanzen gehn,
Musst du bei der Wiege stehn.
Winke nur, winke nur, sind gar leichte, leichte Wink′
Bis den Finger drücket der goldne Treuering.
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
Oh, wie weinet die schöne Braut so sehr!
Ringlein sehn heute lieblich aus,
Morgen werden Fesseln draus.
Springe heut, springe heut deinen letzten, letzten Tanz.
Welken erst die Rosen, stechen Dornen in dem Kranz.
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
Oh, wie weinet die schöne Braut so sehr!
Musst die Blümlein lassen stehn,
Musst nun auf den Acker gehn.
Clemens Brentano (traurige
Liebesgedichte)
Der Spinnerin Nachtlied
Es sang vor langen Jahren
Wohl auch die Nachtigall,
Das war wohl süßer Schall,
Da wir zusammen waren.
Ich sing' und kann nicht weinen,
Und spinne so allein
Den Faden klar und rein
So lang der Mond wird scheinen.
Als wir zusammen waren
Da sang die Nachtigall
Nun mahnet mich ihr Schall
Dass du von mir gefahren.
So oft der Mond mag scheinen,
Denk' ich wohl dein allein,
Mein Herz ist klar und rein,
Gott wolle uns vereinen.
Seit du von mir gefahren,
Singt stets die Nachtigall,
Ich denk' bei ihrem Schall,
Wie wir zusammen waren.
Gott wolle uns vereinen
Hier spinn' ich so allein,
Der Mond scheint klar und rein,
Ich sing' und möchte weinen.
Clemens Brentano (Leidensgedichte)
Die Abendwinde wehen
Die Abendwinde wehen,
Ich muss zur Linde gehen,
Muss einsam weinend stehen,
Es kommt kein Sternenschein;
Die kleinen Vöglein sehen
Betrübt zu mir und flehen,
Und wenn sie schlafen gehen,
Dann wein ich ganz allein!
»Ich hör ein Sichlein rauschen,
Wohl rauschen durch den Klee,
Ich hör ein Mägdlein klagen
Von Weh, von bitterm Weh!«
Ich soll ein Lied dir singen,
Ich muss die Hände ringen,
Das Herz will mir zerspringen
In bittrer Tränenflut,
Ich sing und möchte weinen,
So lang der Mond mag scheinen,
Sehn ich mich nach der Einen,
Bei der mein Leiden ruht!
»Ich hör ein Sichlein rauschen etc.«
Mein Herz muss nun vollenden,
Da sich die Zeit will wenden,
Es fällt mir aus den Händen
Der letzte Lebenstraum.
Entsetzliches Verschwenden
In allen Elementen,
Musst ich den Geist verpfänden,
Und alles war nur Schaum!
»Ich hör ein Sichlein rauschen etc.«
Was du mir hast gegeben,
Genügt ein ganzes Leben
Zum Himmel zu erheben;
O sage, ich sei dein!
Da kehrt sie sich mit Schweigen
Und gibt kein Lebenszeichen,
Da musste ich erbleichen,
Mein Herz ward wie ein Stein.
»Ich hör ein Sichlein rauschen etc.«
Heb Frühling jetzt die Schwingen,
Lass kleine Vöglein singen,
Lass Blümlein aufwärts dringen,
Süß Lieb geht durch den Hain.
Ich musst mein Herz bezwingen,
Muss alles niederringen,
Darf nichts zu Tage bringen,
Wir waren nicht allein!
»Ich hör ein Sichlein rauschen etc.«
Wie soll ich mich im Freien
Am Sonnenleben freuen,
Ich möchte laut aufschreien,
Mein Herz vergeht vor Weh!
Dass ich muss alle Tränen,
All Seufzen und all Sehnen
Von diesem Bild entlehnen,
Dem ich zur Seite geh!
»Ich hör ein Sichlein rauschen etc.«
Wenn du von deiner Schwelle
Mit deinen Augen helle,
Wie letzte Lebenswelle
Zum Strom der Nacht mich treibst,
Da weiß ich, dass sie Schmerzen
Gebären meinem Herzen
Und löschen alle Kerzen,
Dass du mir leuchtend bleibst!
»Ich hör ein Sichlein rauschen,
Wohl rauschen durch den Klee,
Ich hör ein Mägdlein klagen
Von Weh, von bitterm Weh!«
Clemens Brentano
Draus bei Schleswig vor der Pforte
Draus bei Schleswig vor der Pforte
Wohnen armer Leute viel,
Ach des Feindes wilder Horde
Werden sie das erste Ziel.
Waffenstillstand ist gekündet
Dänen ziehen ab zur Nacht,
Russen, Schweden stark verbündet,
Brechen her mit wilder Macht.
Draus bei Schleswig steht vor allen
Weit ein Häuslein ausgesetzt.
Draus bei Schleswig in der Hütte
Singt ein frommes Mütterlein,
Herr, in deinen Schoß ich schütte
Alle meine Angst und Pein.
Doch ihr Enkel ohn Vertrauen,
Zwanzigjährig neuster Zeit,
Hat den Bräutigam zu schauen
Seine Lampe nicht bereit.
Draus bei Schleswig in der Hütte
Singt ein frommes Mütterlein.
Eine Mauer um uns baue
Singt das fromme Mütterlein,
Dass dem Feinde vor uns graue
Hüll in deine Burg uns ein.
Mutter, spricht der Weltgesinnte,
Eine Mauer uns ums Haus
Kriegt unmöglich so geschwinde
Euer lieber Gott heraus.
Eine Mauer um uns baue:
Singt das fromme Mütterlein.
Enkel fest ist mein Vertrauen,
Wenn' s dem lieben Gott gefällt,
Kann er uns die Mauer bauen,
Was er will ist wohl bestellt.
Trommeln rommdidomm rings prasseln
Die Trompeten schmettern drein,
Rosse wiehern, Wagen rasseln,
Ach nun bricht der Feind herein,
Eine Mauer um uns baue
Singt das fromme Mütterlein.
Rings in alle Hütten brechen
Schwed und Russe mit Geschrei,
Lärmen, fluchen, drängen, zechen.
Doch dies Haus ziehn sie vorbei.
Und der Enkel spricht in Sorgen
Mutter, uns verrät das Lied.
Aber sieh, das Heer vom Morgen
Bis zur Nacht vorüberzieht.
Eine Mauer um uns baue
Singt das fromme Mütterlein.
Und am Abend tobt der Winter
An das Fenster schlägt der Nord
Schließt den Laden, liebe Kinder,
Spricht die Alte und singt fort
Aber mit den Flocken fliegen
Vier Kosakenpulke an.
Rings in allen Hütten liegen
Sechzig, auch wohl achtzig Mann.
Eine Mauer um uns baue
Singt das fromme Mütterlein.
Bange Nacht voll Kriegsgetöse,
Wie es wiehert, brüllet, schwirrt,
Kantschuhhiebe, Kolbenstöße.
Weh, des Nachbars Fenster klirrt
Hurrah, Stupai, Boschkai, Kurba,
Vinu, Gleba, Biba, Rack
Schreit und flucht und plackt die Turba.
Erst am Morgen zieht der Pack.
Eine Mauer um uns baue
Singt das fromme Mütterlein.
Eine Mauer um uns baue
Singt sie fort die ganze Nacht.
Morgens ward es still, o schaue
Enkel, was der Nachbar macht!
Auf nach innen geht die Türe,
Nimmer käm er sonst hinaus.
Dass er Gottes Allmacht spüre,
Lag der Schnee wohl mannshoch draus.
Eine Mauer um uns baue,
Sang das fromme Mütterlein!
Ja der Herr kann Mauern bauen.
Liebe fromme Mutter komm,
Gottes Mauer anzuschauen,
Sprach der Enkel und ward fromm.
Achtzehnhundertvierzehn war es,
Als der Herr die Mauer baut,
In der fünften Nacht des Jahres
Hat's dem Feind vor ihr gegraut.
Eine Mauer um uns baue,
Sing ich mit dem Mütterlein.
Clemens Brentano (Einsamkeit
Gedichte)
Einsam will ich untergehn
Einsam will ich untergehn,
Keiner soll mein Leiden wissen!
Wird der Stern, den ich gesehn,
Von dem Himmel mir gerissen,
Will ich einsam untergehn
Wie ein Pilger in der Wüste.
Einsam will ich untergehn
Wie ein Pilger in der Wüste!
Wenn der Stern, den ich gesehn,
Mich zum letzten Male grüßte,
Will ich einsam untergehn
Wie ein Bettler auf der Heide.
Einsam will ich untergehn
Wie ein Bettler auf der Heide!
Gibt der Stern, den ich gesehn,
Mir nicht weiter das Geleite,
Will ich einsam untergehn
Wie der Tag im Abendgrauen.
Einsam will ich untergehn
Wie der Tag im Abendgrauen!
Will der Stern, den ich gesehn,
Nicht mehr auf mich niederschauen,
Will ich einsam untergehn
Wie ein Sklave an der Kette.
Einsam will ich untergehn
Wie der Sklave an der Kette!
Scheint der Stern, den ich gesehn,
Nicht mehr auf mein Dornenbette,
Will ich einsam untergehn
Wie ein Schwanenlied im Tode.
Einsam will ich untergehn
Wie ein Schwanenlied im Tode!
Ist der Stern, den ich gesehn,
Mir nicht mehr ein Friedensbote,
Will ich einsam untergehn
Wie ein Schiff in wüsten Meeren.
Einsam will ich untergehn
Wie ein Schiff in wüsten Meeren!
Wird der Stern, den ich gesehn,
Jemals weg von mir sich kehren,
Will ich einsam untergehn
Wie der Trost in stummen
Schmerzen.
Einsam will ich untergehn
Wie der Trost in stummen Schmerzen!
Soll den Stern, den ich gesehn,
Jemals meine Schuld verscherzen,
Will ich einsam untergehn
Wie mein Herz in deinem Herzen.
Clemens Brentano (Gedichte
über den Tod)
Ist des Lebens Band mit Schmerz gelöset
Ist des Lebens Band mit Schmerz gelöset,
Liegt der Körper ohne Blick, ohn Leben,
Fremde Liebe weint, und er geneset.
Seine Liebe muss zum Himmel schweben,
Von dem trägen Leibe keusch entblößet,
Kann zu Gott der Engel sie erheben.
Und er hält sie mit dem Arm umfasset,
Schwebet höher, bis das Grab erblasset.
Ist er durchs Vergängliche gedrungen,
Kehrt die Seele in die Ewigkeit,
Oh, so ist dem Tod genug gelungen,
Und er stürzet rückwärts in die Zeit.
Um die Seele bleibet Wonn geschlungen,
Alles gibt sich ihr, die alles beut,
Wird zum ewgen Geben und Empfangen,
Kann des Wechsels Ende nie erlangen!
Clemens Brentano (Amor
Gedichte -Liebesgedichte)
Liebesnacht im Haine
Um uns her der Waldnacht heilig Rauschen
Und der Büsche abendlich Gebet,
Seh ich dich so lieblich bange lauschen
Wenn der West durch dürre Blätter weht.
Und ich bitte: Jinni holde, milde
Sieh ich dürste, sehne mich nach dir
Sinnend blickst du durch der Nacht Gefilde
Wende deinen süßen Blick nach mir.
Ach dann wendet Jinni voll Vertrauen
Ihres Lebens liebesüßen Blick
Mir ins wonnetrunkne Aug' zu schauen
Aus des Tages stillem Grab zurück.
Und es ist so traulich dann, so stille
Wenn ihr zarter Arm mich fest umschlingt
Und ein einz'ger liebevoller Wille
Unsrer Seelen Zwillingspaar durchdringt.
Nur von unsrer Herzen lautem Pochen
Von der heil'gen Küsse leisem Tausch
Von der Seufzer Lispel unterbrochen
Ist der Geisterfeier Wechselrausch.
Auf des Äthers liebestillen Wogen
Kömmt Diane dann so sanft und mild
Auf dem lichten Wagen hergezogen
Bis ihn eine Wolke schlau verhüllt,
Und sie trinket dann an Latmus' Gipfel
Ihrer Liebe süßen Minnelohn
Ihre Küsse flüstern durch die Wipfel,
Küssend, nennst du mich Endymion.
Liest auch wohl mit züchtigem Verzagen
Meiner Blicke heimlich stille Glut
Und es sterben alle deine Klagen
Weil die Liebe dir am Herzen ruht.
Fest umschling ich dich von dir umschlungen
Stirbt in unsrem Arm die rege Zeit
Und es wechseln schon des Lichtes Dämmerungen
Starb schon Gestern wird schon wieder heut.
Wenn die lieben Sterne schon ermatten
Wechseln wir noch heimlich Seligkeit
Träumen in den tiefen dunklen Schatten
Flehend und gewährend Ewigkeit.
Fest an dich gebannt in dich verloren
Zähle ich an deines Herzens Schlag
Liebestammelnd jeden Schritt der Horen
Scheidend küsset uns der junge Tag.
Clemens Brentano
Loreley
Zu Bacharach am Rheine
wohnt' eine Zauberin,
die war so schön und feine
und riss viel Herzen hin.
Und machte viel zuschanden
der Männer rings umher,
aus ihren Liebesbanden
war keine Rettung mehr!
Der Bischof ließ sie laden
vor geistliche Gewalt
und musste sie begnaden,
so schön war ihr' Gestalt.
Er sprach zu ihr gerühret:
"Du arme Lore Lay !
Wer hat dich denn verführet
zu böser Zauberei?"
"Herr Bischof, lasst mich sterben,
ich bin des Lebens müd,
weil jeder muss verderben,
der meine Augen sieht'
Die Augen sind zwei Flammen,
mein Arm ein Zauberstab -
schickt mich in die Flammen,
o brechet mir den Stab!"
Ich kann dich nicht verdammen,
bis du mir erst bekennt,
warum in deinen Flammen
mein eignes Herz schon brennt!
Den Stab kann ich nicht brechen,
du schöne Lore Lay!
Ich müsste denn zerbrechen
mein eigen Herz entzwei!
"Herr Bischof, mit mir Armen
treibt nicht so bösen Spott
und bittet um Erbarmen
für mich den lieben Gott?
Ich darf nicht länger leben,
ich liebe keinen mehr, -
den Tod sollt Ihr mir geben,
drum kam ich zu Euch her!
Mein Schatz hat mich betrogen,
hat sich von mir gewandt,
ist fort von mir gezogen,
fort in ein fremdes Land.
Die Augen sanft und wilde,
die Wangen rot und weiß,
die Worte still und milde,
das ist mein Zauberkreis.
Ich selbst muss drin verderben,
das Herz tut mir so weh,
vor Schmerzen möcht' ich sterben,
wenn ich mein Bildnis seh'.
Drum lass mein Recht mich finden,
mich sterben wie ein Christ,
denn alles muss verschwinden,
weil es nicht bei mir ist!“
Drei Ritter lässt er holen:
"Bringt sie ins Kloster hin!
Geh, Lore! Gott befohlen
sei dein berückter Sinn!
Du sollst ein Nönnchen werden,
ein Nönnchen schwarz und weiß,
bereite dich auf Erden
zu deines Todes Reis'!“
Zum Kloster sie nun ritten,
die Ritter alle drei
und traurig in der Mitten
die schöne Lore Lay.
"O Ritter, lasst mich gehen
auf diesen Felsen groß,
ich will noch einmal sehen
nach meines Lieben Schloss.
Ich will noch einmal sehen
wohl in den tiefen Rhein
und dann ins Kloster gehen
und Gottes Jungfrau sein!"
Der Felsen ist so jähe,
so steil ist seine Wand,
doch klimmt sie in die Höhe,
bis dass sie oben stand.
Es binden die drei Reiter
die Rosse unten an
und klettern immer weiter
zum Felsen auch hinan.
Die Jungfrau sprach: "Da gehet
ein Schifflein auf dem Rhein,
der in dem Schifflein stehet,
der soll mein Liebster sein!
Mein Herz wird mir so munter,
er muss mein Liebster sein!"
Da lehnt sie sich hinunter
und stürzet in den Rhein.
Die Ritter mussten sterben,
sie konnten nicht hinab;
sie mussten all' verderben,
ohn´ Priester und ohn´ Grab!
Wer hat dies Lied gesungen?
Ein Schiffer auf dem Rhein,
und immer hat's geklungen
von dem Dreirittetstein:
Lore Lay!
Lore Lay!
Lore Lay!
Als wären es meiner drei!
Clemens Brentano (Abschiedsgedichte)
Abschied vom Rhein
Nun gute Nacht! mein Leben,
Du alter, treuer Rhein.
Deine Wellen schweben
Klar im Sternenschein;
Die Welt ist rings entschlafen,
Es singt den Wolkenschafen
Der Mond ein Lied.
Der Schiffer schläft im Nachen
Und träumet von dem Meer;
Du aber, Du musst wachen
Und trägst das Schiff einher.
Du führst ein freies Leben,
Durchtanzest bei den Reben
Die ernste Nacht.
Wer dich gesehen, lernt lachen;
Du bist so freudenreich,
Du labst das Herz der Schwachen
Und machst den Armen reich.
Du spiegelst hohe Schlösser
Und füllest große Fässer
Mit edlem Wein.
Auch manchen lehrst du weinen.
Dem du sein Lieb entführt;
Gott wolle die vereinen,
Die solche Sehnsucht rührt:
Sie irren in den Hainen,
Und von den Echosteinen
Erschallt ihr Weh.
Und manchen lehret beten
Dein tiefster Felsengrund;
Wer dich im Zorn
betreten,
Den ziehst du in den Schlund:
Wo deine Strudel brausen,
Wo deine Wirbel sausen,
Da beten sie.
Mich aber lehrst du singen:
Wenn dich mein Aug ersieht,
eine freudeselig Klingen
Mir durch den Busen zieht;
Treib fromm mir meine Mühle,
Jetzt scheid ich in der Kühle
Und schlummre ein.
Ihr lieben Sterne, decket
Mir meinen Vater zu.
Bis mich die Sonne wecket,
Bis dahin mahle du:
Wird's gut, will ich dich preisen,
Dann sing in höhern Weisen
Ich dir ein Lied.
Nun werf ich dir zum Spiele
Den Kranz in deine Flut:
Trag ihn zu seinem Ziele,
Wo dieser Tag auch ruht.
Gut Nacht, ich muss mich wenden,
Muss nun mein Singen enden,
Gut Nacht, mein Rhein!
Clemens Brentano (Waldgedichte)
O kühler Wald
O kühler Wald,
Wo rauschest du,
In dem mein Liebchen geht?
O Widerhall,
Wo lauschest du,
Der gern mein Lied versteht?
O Widerhall,
O sängst du ihr
Die süßen Träume vor,
Die Lieder all,
O bring sie ihr,
Die ich so früh verlor!
Im Herzen tief,
Da rauscht der Wald,
In dem mein Liebchen geht,
In Schmerzen schlief
Der Widerhall,
Die Lieder sind verweht.
Im Walde bin
Ich so allein,
O Liebchen, wandre hier,
Verschallet auch
Manch Lied so rein,
Ich singe andre dir!
Clemens Brentano (Gedichte
über den Tod)
Schwanenlied
Wenn die Augen brechen,
Wenn die Lippen nicht mehr sprechen,
Wenn das pochende Herz sich stillet
Und der warme Blutstrom nicht mehr quillet:
Oh, dann sinkt der Traum zum Spiegel nieder,
Und ich hör der Engel Lieder wieder,
Die das Leben mir vorübertrugen,
Die so selig mit den Flügeln schlugen
Ans Geläut der keuschen Maiesglocken,
Dass sie all die Vöglein in den Tempel locken,
Die so süße, wild entbrannte Psalmen sangen,
Dass die Liebe und die Lust so brünstig
rangen,
Bis das Leben war gefangen und empfangen;
Bis die Blumen blühten;
Bis die Früchte glühten
Und gereift zum Schoß der Erde fielen,
Rund und bunt zum Spielen;
Bis die goldnen Blätter an der Erde rauschten
Und die Wintersterne sinnend lauschten,
Wo der stürmende Sämann hin sie säet,
Dass ein neuer Frühling schön erstehet.
Stille wird's, es glänzt der Schnee am Hügel,
Und ich kühl im Silberreif den schwülen Flügel,
Möcht ihn hin nach neuem Frühling
zücken,
Da erstarret mich ein kalt Entzücken -
Es erfriert mein Herz, ein See voll Wonne,
Auf ihm gleitet still der Mond und sanft die Sonne,
Unter den sinnenden, denkenden, klugen Sternen
Schau ich mein Sternbild an in Himmelsfernen;
Alle Leiden sind Freuden, alle Schmerzen scherzen,
Und das ganze Leben singt aus meinem Herzen:
Süßer Tod, süßer Tod
Zwischen dem Morgen- und Abendrot!
Clemens Brentano (Gedichte über Leiden)
Schweig, Herz! kein Schrei!
Schweig, Herz! kein Schrei!
Denn alles geht vorbei!
Doch dass ich auferstand
Und wie ein Irrstern ewig sie umrunde,
Ein Geist, den sie gebannt,
Das hat Bestand!
Ja, alles geht vorbei!
Nur dieses Wunderband,
Aus meines Wesens tiefstem Grunde
Zu ihrem Geist gespannt,
Das hat Bestand!
Ja, alles geht vorbei!
Doch ihrer Güte Pfand,
Jed Wort aus ihrem lieben frommen Munde,
Folgt mir ins andre Land
Und hat Bestand!
Ja, alles geht vorbei!
Doch sie, die mich erkannt,
Den Harrenden, wildfremd an Ort und Stunde,
Ging nicht vorbei, sie stand,
Reicht mir die Hand!
Ja, alles geht vorbei!
Nur eines ist kein Tand,
Die Pflicht, die mir aus seines Herzens Grunde
Das liebe Kind gesandt,
Die hat Bestand!
Ja, alles geht vorbei!
Doch diese liebe Hand,
Die ich in tiefer, freudenheller Stunde
An meinem Herzen fand,
Die hat Bestand!
Ja, alles geht vorbei!
Nur dieser heiße Brand
In meiner Brust, die bittre süße Wunde,
Die linde Hand verband,
Die hat Bestand!
Clemens Brentano
Sprich aus der Ferne
Heimliche Welt,
Die sich so gerne
Zu mir gesellt!
Wenn das Abendrot niedergesunken,
Keine freudige Farbe mehr spricht,
Und die Kränze still leuchtender Funken
Die Nacht um die schattichte Stirne flicht:
Wehet der Sterne
Heiliger Sinn
Leis durch die Ferne
Bis zu mir hin.
Wenn des Mondes still lindernde Tränen
Lösen die Nächte verborgenes Weh;
Dann wehet Friede. In goldenen Kähnen
Schiffen die Geister im himmlischen See.
Glänzende Lieder
Klingender Lauf
Ringelt sich nieder,
Wallet hinauf.
Wenn der Mitternacht heiliges Grauen
Bang durch die dunklen Wälder hinschleicht
Und die Büsche gar wundersam schauen,
Alles sich finster, tiefsinnig bezeugt:
Wandelt im Dunkeln
Freundliches Spiel,
Still Lichter funkeln,
Schimmerndes Ziel,
Alles ist freundlich wohlwollend verbunden,
Bietet sich tröstend und trauernd die Hand,
Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,
Alles ist ewig im Innern verwandt.
Sprich aus der Ferne,
Heimliche Welt,
Die sich so gerne
Zu mir gesellt.
Clemens Brentano (Frühlingsgedichte)
Süßer Mai, du Quell des Lebens
Süßer Mai, du Quell des Lebens
bist so süßer Blumen voll
Liebe sucht auch nicht vergebens
wem sie Kränze winden soll...
Clemens Brentano (Gedichte
über das Leben)
Was reif in diesen Zeilen steht...
Was reif in diesen Zeilen steht,
Was lächelnd winkt und sinnend fleht,
Das soll kein Kind betrüben,
Die Einfalt hat es ausgesäet,
Die Schwermut hat hindurchgeweht,
Die Sehnsucht hat's getrieben;
Und ist das Feld einst abgemäht,
Die Armut durch die Stoppeln geht,
Sucht Ähren, die geblieben,
Sucht Lieb', die für sie untergeht,
Sucht Lieb', die mit ihr aufersteht,
Sucht Lieb', die sie kann lieben,
Und hat sie einsam und verschmäht
Die Nacht durch dankend in Gebet
Die Körner ausgerieben,
Liest sie, als früh der Hahn gekräht,
Was Lieb' erhielt, was Leid verweht,
Ans Feldkreuz angeschrieben,
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb', Leid und Zeit und Ewigkeit!
Aus: Gockel, Hinkel und Gackeleia
Clemens Brentano (Gedichte
über das Leben)
Weihelied zum Ziel und Ende
Herr, Gott, dich will ich preisen,
Solang mein Odem weht,
O hör auf meine Weisen,
O sieh auf mein Gebet.
Bin ich im Himmel oben,
Da lern ich andern Sang,
Da will ich hoch dich loben
Mein ewig Leben lang.
Jetzt lass dir wohlgefallen
Mein treu einfältig Lied
Muss doch ein Kindlein lallen,
Wenn es die Mutter sieht.
Nun hab ich auch gesehen,
Wie du so väterlich,
Will nun nichts mehr verstehen
Als dich, mein Vater, dich.
Ich saß in meiner Kammer,
Sah trüb ins Leben hin,
Die Seele rang in Jammer,
Voll Sorge war mein Sinn;
Da floss ein heilig Sehnen
Mir in das öde Herz,
Da brach mein Blick in Tränen
Und schaute himmelwärts.
Da war dein Himmel offen,
Stern traf in Augenstern,
Mein Glauben, Lieben, Hoffen
Fand Gnade vor dem Herrn.
Das Lied, das ich verschwiegen,
Das Lied, das leis ich sang,
Sah ich die Engel wiegen
In Davids Harfenklang.
Und sah, den ich gerühret
Mit meinem Lerchensang,
Zum Herrn von mir geführet
Auf einem Dornengang.
Er sang mit mir zusammen
Mit selgem Flug und Fall,
In Gottes Liebesflammen,
Trotz Lerch, trotz Nachtigall!
Clemens Brentano (Weihnachtsgedichte)
Weihnachtslied
Kein Sternchen mehr funkelt,
Tief nächtlich umdunkelt
Lag Erde so bang,
Rang seufzend mit Klagen
Nach leuchtenden Tagen,
Ach! Harren ist lang.
Als plötzlich erschlossen,
Vom Glanze durchgossen,
Den Himmel sie sieht;
Es sangen die Chöre:
Gott Preis und Gott Ehre!
Erlösung war da.
Es sangen die Chöre:
Den Höhen sei Ehre,
Dem Vater sei Preis,
Und Frieden hienieden,
Ja Frieden, ja Frieden,
Dem ganzen Erdkreis.
Wir waren verloren,
Nun ist uns geboren,
Was Gott uns verhieß,
Ein Kindlein zum Lieben,
Und nie zu betrüben,
Ach, Lieb ist ja süß!
O segne die Zungen,
Die mit mir gesungen,
Du himmlisches Kind!
Und lass dir das Lallen
Der Kinder gefallen,
So lieblich und lind.
O Friede dem Zorne,
O Röschen, dem Dorne
So lieblich erblüht;
Süß lallende Lippe
Des Kinds in der Krippe,
Dir gleicht wohl dies Lied.
Clemens Brentano (Liebesgedichte
Liebeskummer)
Wenn die Sonne weggegangen
Wenn die Sonne weggegangen,
Kömmt die Dunkelheit heran,
Abendrot hat goldne Wangen,
Und die Nacht hat Trauer an.
Seit die Liebe weggegangen,
Bin ich nun ein Mohrenkind,
Und die roten, frohen Wangen,
Dunkel und verloren sind.
Dunkelheit muss tief verschweigen,
Alles Wehe, alle Lust,
Aber Mond und Sterne zeigen,
Was ihr wohnet in der Brust.
Wenn die Lippen dir verschweigen
Meines Herzens stille Glut,
Müssen Blick und Tränen zeigen,
Wie die Liebe nimmer ruht.
Clemens Brentano (Kindergedichte)
Wiegenlied
Singet leise, leise, leise,
singt ein flüsternd Wiegenlied;
von dem Monde lernt die Weise,
der so still am Himmel zieht.
Singt ein Lied so süß gelinde,
wie die Quellen auf den Kieseln,
wie die Bienen um die Linde
summen, murmeln, flüstern, rieseln.
Clemens Brentano (Sylvestergedichte)
Abschied dem Jahre 1834
Leb wohl du Jahr voll Tränen!
O lasse mich an deinem letzten Tag
Noch einmal selig wähnen,
Dass ich an einem Kinderherzen lag!
Geh hin du Jahr voll Tränen!
Tritt glaubend hin vor Gottes Thron,
Er wird um krankes Sehnen
Dich strenge richten, nimmer doch um Hohn!
O selig Jahr voll Tränen!
War dir auch früh das tiefre Wort geraubt,
So war der Strom der Tränen
Zu ihren Füßen oft dir doch erlaubt!
O liebes Jahr voll Tränen!
O dichte Saat, wie segnend reift dein Schmerz,
O hochbelohnt! mein Sehnen!
Ich fühlte jauchzend, ja! sie hat ein Herz!
O Jahr von heißen Tränen!
Geheimnisvoller, als sie weiß, berauscht,
Was all sie kann verschönen,
Du hast in Tränen sterbend es belauscht.
O Jahr voll bittrer Tränen!
Ist irgend Gottes Wahrheit offenbar,
Ist vieles hier nur Wähnen,
So opfre, weine darum am Altar!
O Jahr voll tiefer Tränen!
Du magst vertraut dein armes müdes Haupt
Ans Kreuz nur ruhig lehnen,
Du hast geliebet, hast gehofft, geglaubt.
O teures Jahr voll Tränen!
Du bist in bittrer Reue Flut getauft,
Der wird uns auch versöhnen,
Der uns mit seiner Weihe Blut erkauft.
Geh hin! du Jahr voll Tränen!
Geh, werfe dich zu ihren Füßen hin!
Und wasche sie mit Tränen
Sag ihr, dass ich ihr armer Bruder bin!
Ihr Bruder ganz in Tränen,
Ihr kranker Bruder, um die eigne Schuld,
Um fremde Schuld in Tränen,
Ihr Bruder weinend um der Väter Schuld!
O sterbe Jahr in Tränen
Weil unsrer Väter Schuld die Kinder trennt,
Und diesen scheint ein Wähnen
Was unsre Mutter ewge Wahrheit nennt.
Leb wohl du Jahr voll Tränen,
O lasse mich an deinem letzten Tag
Noch einmal selig wähnen,
Dass ich an einem Kinderherzen lag.
Clemens Brentano (Zorn
und Liebe Gedichte)
Zorn und Liebe
O Zorn! du Abgrund des Verderben,
Du unbarmherziger Tyrann,
Du frisst und tötest ohne Sterben
Und brennest stets von Neuem an;
Wer da gerät in deine Haft
Gewinnt der Hölle Eigenschaft.
Wo ist, o Liebe, deine Tiefe,
Der Abgrund deiner Wunderkraft?
Oh, wer an deiner Quell entschliefe,
Der hätte Gottes Eigenschaft;
O wer, o Lieb, in deinem Meer
Gleich einem Tropfen sich verlör!
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