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Gedichte über das Leben

Levrai 1979
beobachtet


er fühlte sich beobachtet
an der Kasse aufgereiht
für jeden deutlich
wär er bloß nicht
gekommen
nie

sie sind hier nicht Gast
das Öffnen der Verpackung
verpflichtet zum Kauf
zieh dich nicht aus

Clara Roselli
Sommernacht


In dieser lauen Sommernacht
Bin ich im Mondstrahl aufgewacht.
Der lockte mich zum Sternenleuchten
Und lief durchs hohe Gras mit feuchten
Füßen und die Wangen heiß -
Fühlte Dinge, die ich wieder weiß,
Von Herzensglut und Lebensmut.

Rainer Maria Rilke    (Leben - Gedichte)
Du musst das Leben nicht verstehen


Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.

Levrai 1978
Die Hürde

Einundzwanzig Jahre, was ist schon ein Jahr
die zweihundertzweiundfünfzig Monate
der Monat, das Zwölftel
vergessene Tage

Minuten sind
mühselig

Levrai (1978)
DM 30,20

Fröhliches Essen beim Griechen
gehen jetzt zum Jugoslawen
nur um Julischka zu riechen
Chinesen verputzt
Am Park die Raben
verdutzt

Levrai (1979)
Lineal

  Lineal Lineal Lineal
Lineal Lineal Lineal
Lineal Lineal Lineal

  Lineal Lineal Lineal
Lineal Lineal Lineal
Lineal Lineal Lineal

  Lineal Lineal Lineal
Lineal Lineal Lineal
Lineal Lineal Lineal

Jeder kann es lesen

Segelsetzen, Anker lichten,
Blick zu neuen Ufern richten.

Wilhelm Busch    (Gedichte über das Leben)
Summa Summarum


Sag, wie wär es, alter Schragen,
Wenn du mal die Brille putztest,
Um ein wenig nachzuschlagen,
Wie du deine Zeit benutztest.

Oft wohl hätten dich so gerne
Weiche Arme weich gebettet;
Doch du standest kühl von ferne,
Unbewegt, wie angekettet.

Oft wohl kam′s, dass du die schöne
Zeit vergrimmtest und vergrolltest,
Nur weil diese oder jene
Nicht gewollt, so wie du wolltest.

Demnach hast du dich vergebens
Meistenteils herumgetrieben;
Denn die Summe unsres Lebens
Sind die Stunden, wo wir lieben.

Levrai (1978)
Glas

straßenverkehr
verspiegelt von der seite lauern auslagen
keimender geschäfte
fakirhafte gelassenheit des geschmückten hydranten
alles schon gesehen zehntausend mal ein golf
Gersting 487 mal zur arbeit 486 mal zurück
die welt hängt schief
größere autos paletten leinwände
jetzt kommt gernsting biegt auf seine einfahrt
blauer himmel dreht sich zur seite
geschwärzte scheiben
straßenlaternenblinken

Joachim Ringelnatz    (Gedichte über das Leben)
Es lohnt sich doch


Es lohnt sich doch, ein wenig lieb zu sein
Und alles auf das Einfachste zu schrauben,
Und es ist gar nicht Großmut zu verzeihn,
Dass andere ganz anders als wir glauben.

Und stimmte es, dass Leidenschaft Natur
Bedeutete im guten und im bösen,
Ist doch ein Knoten in dem Schuhband nur
Mit Ruhe und mit Liebe aufzulösen.

Gedichte über den Tod  -  Lustige Gedichte  -  Liebesgedichte

Wilhem Busch    (Gedichte über das Leben)
Früher, da ich unerfahren


Früher, da ich unerfahren
Und bescheidner war als heute,
Hatten meine höchste Achtung
Andre Leute.

Später traf ich auf der Weide
Außer mir noch mehr Kälber,
Und nun schätz ich, sozusagen,
Erst mich selber.

Levrai
Nächtlicher Besuch

Nachdem nach nächtlichem Besuch des Freundes
In fremder Stadt, zurück in fremderem Hotel,
Der richtige Eingang nicht zu finden war,
- Bei so vielem Ähnlichem -
Half ein Mann, vielleicht der Hausmeister,
Hilfreich auf die Frage nach gesuchter Tür
Mit dem Finger weisend und dem Ausdruck „Häuserkleister“,
Was wohl hieß, gesagt mit viel Gespür,
Auch er habe nicht beschlossen
Diesen Ort zu mögen.

Joseph von Eichendorff     (Gedichte über das Leben)
Es wandelt, was wir schauen


Es wandelt, was wir schauen,
Tag sinkt ins Abendrot,
Die Lust hat eignes Grauen,
Und alles hat den Tod.

Ins Leben schleicht das Leiden
Sich heimlich wie ein Dieb,
Wir alle müssen scheiden
Von allem, was uns lieb.

Was gäb' es doch auf Erden,
Wer hielt' den Jammer aus,
Wer möcht' geboren werden,
Hielt'st Du nicht droben Haus!

Du bist's, der, was wir bauen,
Mild über uns zerbricht,
Dass wir den   schauen -
Darum so klag' ich nicht.

Wilhem Busch (Gedichte über das Leben)
Der volle Sack


Ein dicker Sack - den Bauer Bolte,
Der ihn zur Mühle tragen wollte,
Um auszuruhn mal hingestellt
Dicht an ein reifes Ährenfeld, -
Legt sich in würdevolle Falten
Und fängt ′ne Rede an zu halten.
Ich, sprach er, bin der volle Sack.
Ihr Ähren seid nur dünnes Pack.
Ich bin′s, der Euch auf dieser Welt
In Einigkeit zusammenhält.
Ich bin′s, der hoch vonnöten ist,
Dass Euch das Federvieh nicht frisst,
Ich, dessen hohe Fassungskraft
Euch schließlich in die Mühle schafft.
Verneigt Euch tief, denn ich bin Der!
Was wäret ihr, wenn ich nicht wär?

Sanft rauschen die Ähren:
Du wärst ein leerer Schlauch, wenn wir nicht wären.

Friedrich Rückert   (Gedicht und Leben)
Lebensglück


Sei unbetört und unverstört!
Was zu des Lebens Glück gehört,
Hat dir ein Gott gegeben;
Und was er dir nicht gab, gehört,
O glaube es, nicht zum Leben.

Was du nicht hast, das ist die Last,
Die du nicht aufgeladen hast;
Du hast die Lust am Leben.
Sei unverstört und unbetört!
Was zu des Lebens Lust gehört,
Das hat dir Gott gegeben.

Johann Wolfgang von Goethe (Geburtstagsgedichte)
Lebensregel

Willst du dir ein hübsch Leben zimmern,
Musst dich ums Vergangne nicht bekümmern;
Das Wenigste muss dich verdrießen;

Musst stets die Gegenwart genießen,
Besonders keinen Menschen hassen
Und die Zukunft Gott überlassen.

Rainer Maria Rilke    (Gedichte über Leben)
Opfer


O wie blüht mein Leib aus jeder Ader
duftender, seitdem ich dich erkenn;
sieh, ich gehe schlanker und gerader,
und du wartest nur-: wer bist du denn?

Sieh: ich fühle, wie ich mich entferne,
wie ich Altes, Blatt um Blatt, verlier.
Nur dein Lächeln steht wie lauter Sterne
über dir und bald auch über mir.

Alles was durch meine Kinderjahre
namenlos noch und wie Wasser glänzt,
will ich nach dir nennen am Altare,
der entzündet ist von deinem Haare
und mit deinen Brüsten leicht bekränzt.

Gedichte über den Tod  -  Lustige Gedichte  -  Liebesgedichte

Joachim Ringelnatz (Gedichte über das Leben)
Psst


Träume deine Träume in Ruh.
Wenn du niemandem mehr traust,
Schließe die Türen zu,
Auch deine Fenster,
Damit du nichts mehr schaust.
Sei still in deiner Stille,
Wie wenn dich niemand sieht.
Auch was dann geschieht,
Ist nicht dein Wille.
Und im dunkelsten Schatten
Lies das Buch ohne Wort.
Was wir haben, was wir hatten,
Was wir ...
Eines Morgens ist alles fort.

Marie von Ebner-Eschenbach    (Gedichte über Leben)
Lebenszweck


Hilflos in die Welt gebannt,
Selbst ein Rätsel mir,
In dem schalen Unbestand,
Ach, was soll ich hier?

- Leiden, armes Menschenkind,
Jede Erdennot,
Ringen, armes Menschenkind,
Ringen um den Tod.

Adelbert von Chamisso (Gedichte und Leben)
Winter.


In den jungen Tagen
Hatt' ich frischen Mut,
In der Sonne Strahlen
War ich stark und gut.


Liebe, Lebenswogen,
Sterne, Blumenlust!
Wie so stark die Sehnen!
Wie so voll die Brust!

Und es ist zerronnen,
Was ein Traum nur war;
Winter ist gekommen,
Bleichend mir das Haar.

Bin so alt geworden,
Alt und schwach und blind,
Ach! verweht das Leben,
Wie ein Nebelwind!

Clemens Brentano    (Gedichte über Leben)
Schweig, Herz! kein Schrei!


Schweig, Herz! kein Schrei!
Denn alles geht vorbei!
Doch dass ich auferstand
Und wie ein Irrstern ewig sie umrunde,
Ein Geist, den sie gebannt,
Das hat Bestand!

Ja, alles geht vorbei!
Nur dieses Wunderband,
Aus meines Wesens tiefstem Grunde
Zu ihrem Geist gespannt,
Das hat Bestand!

Ja, alles geht vorbei!
Doch ihrer Güte Pfand,
Jed Wort aus ihrem lieben frommen Munde,
Folgt mir ins andre Land
Und hat Bestand!

Ja, alles geht vorbei!
Doch sie, die mich erkannt,
Den Harrenden, wildfremd an Ort und Stunde,
Ging nicht vorbei, sie stand,
Reicht mir die Hand!

Ja, alles geht vorbei!
Nur eines ist kein Tand,
Die Pflicht, die mir aus seines Herzens Grunde
Das liebe Kind gesandt,
Die hat Bestand!

Ja, alles geht vorbei!
Doch diese liebe Hand,
Die ich in tiefer, freudenheller Stunde
An meinem Herzen fand,
Die hat Bestand!

Ja, alles geht vorbei!
Nur dieser heiße Brand
In meiner Brust, die bittre süße Wunde,
Die linde Hand verband,
Die hat Bestand!

Rainer Maria Rilke    (Leben und Gedichte)
Mein Leben ist wie leise See...


Mein Leben ist wie leise See:
Wohnt in den Uferhäusern das Weh,
wagt sich nicht aus den Höfen.
Nur manchmal zittert ein Nahn und Fliehn:
Aufgestörte Wünsche ziehn
Darüber wie silberne Möwen.
Und dann ist alles wieder still. . .
Und weißt du was mein Leben will,
hast du es schon verstanden?
Wie eine Welle im Morgenmeer
Will es, rauschend und muschelschwer,
An deiner Seele landen.

Johann Wolfgang von Goethe (Gedicht über das Leben)
Bedingung


Ihr lasst mich nicht, ihr bleibt dabei,
Begehret Rat, ich kann ihn geben;
Allein, damit ich ruhig sei,
Versprecht mir, ihm nicht nachzuleben.

Clemens Brentano    (Gedichte über das Leben)
Was reif in diesen Zeilen steht...


Was reif in diesen Zeilen steht,
Was lächelnd winkt und sinnend fleht,
Das soll kein Kind betrüben,
Die Einfalt hat es ausgesäet,
Die Schwermut hat hindurchgeweht,
Die Sehnsucht hat's getrieben;
Und ist das Feld einst abgemäht,
Die Armut durch die Stoppeln geht,
Sucht Ähren, die geblieben,
Sucht Lieb', die für sie untergeht,
Sucht Lieb', die mit ihr aufersteht,
Sucht Lieb', die sie kann lieben,
Und hat sie einsam und verschmäht
Die Nacht durch dankend in Gebet
Die Körner ausgerieben,
Liest sie, als früh der Hahn gekräht,
Was Lieb' erhielt, was Leid verweht,
Ans Feldkreuz angeschrieben,
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb', Leid und Zeit und Ewigkeit!
Aus: Gockel, Hinkel und Gackeleia

Rainer Maria Rilke (Gedichte über Leben)
Mädchenklage


Diese Neigung, in den Jahren,
da wir alle Kinder waren,
viel allein zu sein, war mild;
andern ging die Zeit im Streite,
und man hatte seine Seite,
seine Nähe, seine Weite,
einen Weg, ein Tier, ein Bild.
Und ich dachte noch, das Leben
hörte niemals auf zu geben,
dass man sich in sich besinnt.
Bin ich in mir nicht im Größten?
Will mich meines nicht mehr trösten
und verstehen wie als Kind?
Plötzlich bin ich wie verstoßen,
und zu einem Übergroßen
wird mir diese Einsamkeit,
wenn, auf meiner Brüste Hügeln
stehend, mein Gefühl nach Flügeln
oder einem Ende schreit.

Levrai  (Gedichte über das neue Leben)
Über das Leben


Das Heute entschwindet
wer weiß schon von Morgen
und plant, Gefühle entwindet
dem Abend die Nacht
Nicht dem Gestern ergeben mit aller Macht
denn leiser Kummer und müde Sorgen
Wissen und ahnen das Leben
Morgen

Eduard Mörike (Gedichte über das Leben)
Septembermorgen


Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.

Wilhelm Busch  (Gedichte über das Leben)
Die Nachbarskinder


Wer andern gar zu wenig traut,
hat Angst an allen Ecken;
wer gar zu viel auf andre baut,
erwacht mit Schrecken.

Er trennt sie nur ein leichter Zaun,
die beiden Sorgengründer;
zu wenig und zu viel Vertraun
sind Nachbarskinder.

Rainer Maria Rilke (Lebensgedichte)
Ich bin so jung


Ich bin so jung. Ich möchte jedem Klange,
der mir vorüberrauscht, mich schaudernd schenken,
und willig in des Windes liebem Zwange,
wie Windendes über dem Gartengange,
will meine Sehnsucht ihre Ranken schwenken,

Und jeder Rüstung bar will ich mich brüsten,
solang ich fühle, wie die Brust sich breitet.
Denn es ist Zeit, sich reisig auszurüsten,
wenn aus der frühen Kühle dieser Küsten
der Tag mich in die Binnenlande leitet.

Gedichte über den Tod  -  Lustige Gedichte  -  Liebesgedichte

Johann Gottfried Herder (Gedichte über das Leben)
Lied des Lebens


Flüchtiger als Wind und Welle
Flieht die Zeit; was hält sie auf?
Sie genießen auf der Stelle,
Sie ergreifen schnell im Lauf;
Das, ihr Brüder, hält ihr Schweben,
Hält die Flucht der Tage ein.
Schneller Gang ist unser Leben,
Lasst uns Rosen auf ihn streun.

Rosen; denn die Tage sinken
In des Winters Nebelmeer.
Rosen; denn sie blühn und blinken
Links und rechts noch um uns her.
Rosen stehn auf jedem Zweige
Jeder schönen Jugendtat.
Wohl ihm, der bis auf die Neige
Rein gelebt sein Leben hat.

Tage, werdet uns zum Kranze
Der des Greises Schläf' umzieht
Und um sie in frischem Glanze
Wie ein Traum der Jugend blüht.
Auch die dunkeln Blumen kühlen
Uns mit Ruhe, doppelt-süß;
Und die lauen Lüfte spielen
Freundlich uns ins Paradies.

Levrai (Gedichte Leben)
Seiten


Zwischen den Tagen liegen
Die Seiten des Lebens
Gepresst und getrocknet
Stunde an Stunde
Wange an Wange
Zwischen den Tagen
Liegt der Staub des Lebens
gewischt

Marie von Ebner-Eschenbach (Gedichte über das Leben)
Das Schiff


Das eilende Schiff, es kommt durch die Wogen
wie Sturmwind geflogen;
voll Jubel ertönt's vom Mast und vom Kiele:
"Wir nahen dem Ziele!"
Der Fährmann am Steuer spricht traurig und leise:
"Wir segeln im Kreise."

Rainer Maria Rilke (Kindheit Gedichte
Kindheit


Es wäre gut viel nachzudenken,
um von so Verlornem etwas auszusagen,
von jenen langen Kindheits-Nachmittagen,
die so nie wiederkamen – und warum?

Noch mahnt es uns: vielleicht in einem Regnen,
aber wir wissen nicht mehr was das soll;
nie wieder war das Leben von Begegnen,
von Wiedersehn und Weitergehn so voll

wie damals, da uns nichts geschah als nur
was einem Ding geschieht und einem Tiere:
da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre
und wurden bis zum Rande voll Figur.

Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt
und so mit großen Fernen überladen
und wie von weit berufen und berührt

und langsam wie ein langer neuer Faden
in jene Bilder-Folgen eingeführt,
in welchen nun zu dauern uns verwirrt

Rainer Maria Rilke (Gedichte über das Leben)
In einem fremden Park


Zwei Wege sind's. Sie führen keinen hin.
Doch manchmal, in Gedanken, lässt der eine
dich weitergehn. Es ist, als gingst du fehl;
aber auf einmal bist du im Rondel
alleingelassen wieder mit dem Steine
und wieder auf ihm lesend: Freiherrin
Brite Sophie – und wieder mit dem Finger
abfühlend die zerfallne Jahreszahl -,
warum wird dieses Finden nicht geringer?

Was zögerst du ganz wie zum ersten Mal
erwartungsvoll auf diesem Ulmenplatz,
der feucht und dunkel ist und nie betreten?

Und was verlockt dich für ein Gegensatz,
etwas zu suchen in den sonnigen Beeten,
als wär's der Name eines Rosenstocks?

Was stehst du oft? Was hören deine Ohren?
Und warum siehst du schließlich, wie verloren,
die Falter flimmern um den hohen Phlox.

Ferdinand von Saar (Gedichte über die Arbeit und das Leben)
Arbeitergruß


Vom nahen Eisenwerke,
berußt, mit schwerem Gang,
kommt mir ein Mann entgegen,
den Wiesenpfad entlang.
Mit trotzig finstrer Miene,
wie mit sich selbst im Streit,
greift er an seine Mütze -
Gewohnheit alter Zeit.
Es blickt dabei sein Auge
mir musternd auf den Rock,
und dann beim Weiterschreiten
schwingt er den Knotenstock.
Ich ahne, was im Herzen
und was im Hirn ihm brennt:
»Das ist auch einer,« denkt er,
»der nicht die Arbeit kennt.«
»Lustwandelnd hier im Freien,
verdaut er üpp'ges Mahl,
indes wir darbend schmieden
das Eisen und den Stahl.«
»Er sucht den Waldesschatten,
da wir am Feuer steh'n
und in dem heißen Brodem
langsam zugrunde geh'n.«
»Der soll es noch erfahren,
wie es dem Menschen tut,
muss er das Atmen zahlen
mit seinem Schweiß und Blut.« -
Verziehen sei dir alles,
womit du schwer mich kränkst,
verziehen sei dir's gerne:
du weißt nicht, was du denkst.
Du hast ja nie erfahren
des Geistes tiefe Müh'n,
und ahnst nicht, wie die Schläfen
mir heiß von Denken glüh'n;
Du ahnst nicht, wie ich hämmre
und feile Tag für Tag -
und wie ich mich verblute
mit jedem Herzensschlag!

Marie von Ebner-Eschenbach (Gedichte über das Leben)
Gänsezug


Die erste Gans im Gänsezug,
Sie schnattert: "Seht, ich führe!"
Die letzte Gans im Gänsezug,
Sie schnattert: "Seht, ich leite!"

Und jede Gans im Gänsezug,
Sie denkt: " - Dass ich mich breite
So selbstbewusst, das kommt daher,
Weil ich, ein unumschränkter Herr,
Den Weg mir wähl nach eignem Sinn,
All meiner Schritte Schreiter bin
Und meine Freiheit spüre!"

Adelbert von Chamisso (Gedichte über das Leben)
Die alte Waschfrau


Du siehst geschäftig bei dem Linnen
die Alte dort in weißem Haar,
die rüstigste der Wäscherinnen
im sechsundsiebenzigsten Jahr.
So hat sie stets mit sauerm Schweiß
ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen
und ausgefüllt mit treuem Fleiß
den Kreis, den Gott ihr zugemessen.

Sie hat in ihren jungen Tagen
geliebt, gehofft und sich vermählt;
sie hat des Weibes Los getragen,
die Sorgen haben nicht gefehlt;
sie hat den kranken Mann gepflegt,
sie hat drei Kinder ihm geboren;
sie hat ihn in das Grab gelegt
und Glaub' und Hoffnung nicht verloren.

Da galt's, die Kinder zu ernähren;
sie griff es an mit heiterm Mut,
sie zog sie auf in Zucht und Ehren,
der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.
Zu suchen ihren Unterhalt
entließ sie segnend ihre Lieben,
so stand sie nun allein und alt,
ihr war ihr heitrer Mut geblieben.

Sie hat gespart und hat gesonnen
und Flachs gekauft und nachts gewacht,
den Flachs zu feinem Garn gesponnen,
das Garn dem Weber hingebracht;
der hat's gewebt zu Leinewand.
Die Schere brauchte sie, die Nadel,
und nähte sich mit eigner Hand
ihr Sterbehemde sonder Tadel.

Ihr Hemd, ihr Sterbehernd, sie schätzt es,
verwahrt's im Schrein am Ehrenplatz;
es ist ihr Erstes und ihr Letztes,
ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.
Sie legt es an, des Herren Wort
am Sonntag früh sich einzuprägen;
dann legt sie's wohlgefällig fort,
bis sie darin zur Ruh sie legen.

Und ich, an meinem Abend, wollte,
ich hätte, diesem Weibe gleich,
erfüllt, was ich erfüllen sollte
in meinen Grenzen und Bereich;
ich wollt', ich hätte so gewusst
am Kelch des Lebens mich zu laben,
und könnt' am Ende gleiche Lust
an meinem Sterbehemde haben.

Matthias Claudius
Ich danke Gott


Ich danke Gott und freue mich
Wie's Kind zur Weihnachtsgabe,
Dass ich hier bin! Und dass ich dich
Schön menschlich Antlitz habe.

Dass ich die Sonne, Berg und Meer,
Und Laub und Gras kann sehen
Und abends unterm Sternenheer
Und lieben Monde gehen.

Gott gebe mir nur jeden Tag.
So viel ich darf zum Leben,
Er gibt's dem Sperling auf dem Dach;
Wie sollt' er's mir nicht geben!

Joachim Ringelnatz
Schiff


Wir haben keinen günstigen Wind.
Indem wir die Richtung verlieren,
Wissen wir doch, wo wir sind.
Aber wir frieren.

Und die darüber erhaben sind,
Die sollten nicht allzuviel lachen.
Denn sie werden nicht lachen, wenn sie blind
Eines Morgens erwachen.

Das Schiff, auf dem ich heute bin,
Treibt jetzt in die uferlose,
In die offene See. – Fragt ihr: "Wohin?"
Ich bin nur ein Matrose.

Clemens Brentano
Weihelied zum Ziel und
Ende

Herr, Gott, dich will ich preisen,
Solang mein Odem weht,
O hör auf meine Weisen,
O sieh auf mein Gebet.
Bin ich im Himmel oben,
Da lern ich andern Sang,
Da will ich hoch dich loben
Mein ewig Leben lang.

Jetzt lass dir wohlgefallen
Mein treu einfältig Lied
Muss doch ein Kindlein lallen,
Wenn es die Mutter sieht.
Nun hab ich auch gesehen,
Wie du so väterlich,
Will nun nichts mehr verstehen
Als dich, mein Vater, dich.

Ich saß in meiner Kammer,
Sah trüb ins Leben hin,
Die Seele rang in Jammer,
Voll Sorge war mein Sinn;
Da floss ein heilig Sehnen
Mir in das öde Herz,
Da brach mein Blick in Tränen
Und schaute himmelwärts.

Da war dein Himmel offen,
Stern traf in Augenstern,
Mein Glauben, Lieben, Hoffen
Fand Gnade vor dem Herrn.
Das Lied, das ich verschwiegen,
Das Lied, das leis ich sang,
Sah ich die Engel wiegen
In Davids Harfenklang.

Und sah, den ich gerühret
Mit meinem Lerchensang,
Zum Herrn von mir geführet
Auf einem Dornengang.
Er sang mit mir zusammen
Mit selgem Flug und Fall,
In Gottes Liebesflammen,
Trotz Lerch, trotz Nachtigall!

Joachim Ringelnatz (Gedichte über den Tod und das Leben)
Nichts geschieht

Wenn wir sterben müssen,
Unsere Seele sich den Behörden entzieht,
Werden sich Liebende küssen;
Weil das Lebende trumpft.
Aber wenn nichts geschieht,
Bleibt das Leben nicht einmal stehn, sondern schrumpft.


Was heute mir ins Ohr klingt,
Ist nur, was Klage vorbringt.
Und was ich mit Augen seh
An schweigender Not, das tut weh.
Aller Frohsinn in uns ist verreist.

Und nichts geschieht. – Und der Zeiger kreist.

Theodor Storm (über den Tod)
Bald ist unsers Lebens Traum zu En
de

Bald ist unsers Lebens Traum zu Ende,
Schnell verfließt er in die Ewigkeit.
Reicht zum frohen Tanze euch die Hände!
Tut's geschwinde; sonst enteilt die Zeit!

Wilhelm Busch (Poesiealbum Gedichte)
Will das Glück nach seinem Sinn

Will das Glück nach seinem Sinn
Dir was Gutes schenken,
Sage Dank und nimm es hin
Ohne viel Bedenken.
Jede Gabe sei begrüßt,
Doch vor allen Dingen:
Das worum du dich bemühst,
Möge dir gelingen.

Joachim Ringelnatz
Weißt du?


Wenn ein Neunauge mit einem Tausendfuß
Kinder zeugt, wie mögen die gehen?
Wie mögen die sehen?
Ich weiß es nicht. Weißt du's?

Weißt du wohl, dass eines Flugzeugs Schatten,
Wenn er über Häuser, Bäume, Matten,
Menschen, Tiere, Wasser geht,
Nichts und niemand widersteht?

Jeder weiß, warum in schönen Zweigen
Schöne Spinne schöne Netze webt.
Aber weißt du, was das Schweigen
Eines andern Menschen
Sinnt und nacherlebt und vorerlebt?

Joachim Ringelnatz

Und Menschen triffst du, und dich stört ihr Reden,
Weil es nichts Neues dir enthüllt.
Du kennst all ihre Zellen, hast längst jeden
Gedanken überholt, der sie erfüllt.

Du willst durchaus nicht, dass sie näher kommen;
Du fürchtest, dass du überlegen siegst.
Doch schweigend dann besinnst du dich beklommen,
Wie du den Anfang so wie sie genommen,
Und dass du dankbar sein musst, weil du stiegst.

Doch wenn du dich bescheiden an sie wendest
Und einfach sprichst, erfährst du, dass du störst.
Und einsam klingt der Satz, den du vollendest.
Weil du doch nimmer ihnen angehörst.

Joachim Ringelnatz
Überall

Überall ist Wunderland.
Überall ist Leben.
Bei meiner Tante im Strumpfenband.
Wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.

Wenn du einen Schneck behauchst,
Schrumpft er ins Gehäuse,
Wenn du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.

Annette von Droste-Hülshoff
Die Gaben

Nie fand, so oft auch scherzend ward gefragt,
Ich einen Mann, vom Grafen bis zum Schneider,
Der so bescheiden oder so betagt,
So hülflos - keinen so Gescheiten leider,

Der nicht gemeint, des Herrschertumes Bürde
Sei seinen Schultern grad das rechte Maß.
War einer zweifelnd je an seiner Würde,
So schätzt' er seine Kräfte desto bass:

Der hoffte auf der Rede Zauberbann,
Schlau aus dem Winkel wollte jener zielen,
Kurz, dass er wisse, wie, und auch den Mann,
Ließ jeder deutlich durch die Blume spielen.

Ihr Toren! glaubt ihr denn, dass Gott im Zorne
Die Großen schuf, ungleich der Menschenschar,
Pecus inane , das sein Haupt zum Borne
Hinstreckt wie weiland Nebukadnezar?

Dass, weil zuweilen unter Zotten schlägt
Ein Herz, wo große Elemente schlafen,
Deshalb, wer eine feine Wolle trägt
Unfehlbar zahlt zu den Merinoschafen?

Dass langes Schauen zweifellos erblinde,
Und wer den Fäden rastlos nachgespürt,
Dass dieser, gleich dem überreizten Kinde,
So dümmer wird je länger er studiert?

Wer zweifelt, dass ein Herz, wie's Throne schmückt,
Gar oft am Acker frönt und Forstgehege,
Dass manche Scheitel sich zur Furche bückt,
Hochwert, dass eine Krone drauf man lege?

Doch ihr, des Lebens abgehetzten Alten,
Ihr innerlichen Greise, seid es nicht;
Bewahr' der Himmel uns vor eurem Walten,
Vor dem im Sumpfe angebrannten Licht!

Ihr würdet mahnen an des Fröhners Sohn,
Der, woll' ihm Gott ein Königreich verschreiben,
Für's Leben wüsste keinen bessern Lohn,
Als seine Schweine dann zu Ross zu treiben.

Novalis
An Agathon


Wenn Könige mit Gunst dich überhäufen,
Rund um dich Gold in hohen Haufen lacht,
Und zwanzig Schiffe dir durch alle Meere streifen,
Und für dein Wohl Fortuna treulich wacht,
So rühmet jedermann dein Glück; doch stets vergebens,
Denn hast du nicht dabei Philosophie des Lebens,
So hast du nichts.

Christian Morgenstern
Licht ist Liebe

Licht ist Liebe. Sonnen - Weben
Liebes - Strahlung einer Welt
schöpferischer Wesenheiten -

die durch unerhörte Zeiten
uns an ihrem Herzen hält,
und die uns zuletzt gegeben

ihren höchsten Geist in eines
Menschen Hülle während dreier
Jahre: da Er kam in Seines

Vaters Erbteil - nun der Erde
innerlichstes Himmelsfeuer:
dass auch sie einst Sonne werde.

Novalis
Was passt, das muss sich ründen

Was passt, das muss sich ründen,
Was sich versteht, sich finden,
Was gut ist, sich verbinden,
Was liebt, zusammen sein.
Was hindert, muss entweichen,
Was krumm ist, muss sich gleichen,
Was fern ist, sich erreichen,
Was keimt, das muss gedeihn.

Gib treulich mir die Hände,
Sei Bruder mir und wende
Den Blick vor deinem Ende
Nicht wieder weg von mir.
Ein Tempel, wo wir knieen,
Ein Ort, wohin wir ziehen,
Ein Glück, für das wir glühen,
Ein Himmel mir und dir!

Ludwig Heinrich Christoph Hölty
Der alte Landmann

Üb' immer Treu und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finge breit
Von Gottes Wegen ab!

Dann wirst du wie auf grünen Au'n
Durch's Pilgerleben gehn,
Dann kannst du ohne Furcht und Grau'n
Dem Tod in's Antlitz sehn.

Dann wird die Sichel und der Pflug
In deiner Hand so leicht;
Dann singest du bei'm Wasserkrug,
Als wär' dir Wein gereicht.

Dem Bösewicht wird alles schwer,
Er tue, was er tu';
Das Laster treibt ihn hin und her
Und lässt ihm keine Ruh',

Der schöne Frühling lacht ihm nicht,
Ihm lacht kein Ehrenfeld;
Er ist auf Lug und Trug erpicht
Und wünscht sich nichts als Geld.

Der Wind im Hain, das Laub im Baum
Saust ihm Entsetzen zu;
Er findet nach des Lebens Raum
Im Grabe keine Ruh'. -

Sohn, übe Treu' und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab!

Dann suchen Enkel deine Gruft
Und weinen Tränen drauf,
Und Sonnenblumen, voll von Duft,
Blühn aus den Tränen auf.

Anna Ritter
Gefaltete Hände

Es hat mich heut nicht schlafen lassen -
Das alte Weh kam über mich,
Dass ich mit heimatlosen Schritten
Mich an des Kindes Bettchen schlich.
Da sank ich hin in dunkler Nacht
Und habe in die weißen Kissen
In wildem Schmerz hinein gebissen ...
Der du so elend mich gemacht,
So viele Fäden mir zerrissen,
So viele Wege mir verstellt -
Du wirst, o Herr, die Gründe wissen!
Du lenkst die weite, große Welt
Nach ewig gültigen Gesetzen,
Du wirst dies arme Frauenherz
Nicht planlos, ziellos durch den Schmerz,
Durch Elend und Verzweiflung hetzen!
Wenn ich in Liebe um den Einen
Den Himmel, Herr, und dich vergaß,
Zu viel des Glückes mich vermaß
Und nicht genug zu dir gefleht -
Ist nicht auch L i e b e ein Gebet,
Vielleicht das heiligste der Erde?
Suchst du im Staube nur die Deinen,
Muss erst am Grabe ihres Glücks
Die arme Menschenseele weinen,
Auf dass sie deiner würdig werde
Und in Verklärung aufersteht?

Max Dauthendey   (Gedichte über das Leben)
Keiner mehr am Boden klebt

Nun füllt sich das Auge bald
Wieder voll mit alter Freude,
Beine, wandert hin zum Wald,
Wo noch Schnee jüngst schlief am Steine!
Watet Kniee, watet tief
Durch das Kräuterbett der Heide!
Von dem Kopf fiel fort das Brett;
Auch dem allerärmsten Tropf
Lebt die Welt zur Augenweide.
Jeder heut darüber schwebt
Wie der Himmel blau im Kleide,
Keiner mehr am Boden klebt.

Ludwig Eichrodt   (Freunde, Freundschaft Gedichte)
Freunde


Was aber hätt ich von dieser Welt,
Und hätt ich, was ich wünscht, im Nu,
Was Herz erwärmt und Geist erhellt,
Und hätt keinen Freund dazu?

Was hätt ich von aller Liebe gar,
Was hätt ich von dem funkelnden Wein,
Wenn Alles, was süß mir ist und war,
Nur blühte für mich allein?

Was wollt ich mit der schwellenden Brust
Und schütte sie arglos nimmer aus?
Vergrabenes Leid, verschlossene Lust,
Das ist der Seelengraus.

Der Alles überdauern muss,
Wenn dir so manche Blüte geknickt,
Das ist des Geistes kräftiger Genuss,
Der ewig verjüngt, erquickt.

Es ist allein der liebende Freund,
Der Einen ganz und gar versteht,
Der mitgelacht und mitgeweint,
Geerntet, was mitgesät.

Dann erst, o dann, geschähs einmal,
Da würd es einsam in dir und leer,
Wenn deine Freunde wegstürben all,
Würde dirs Leben schwer.


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