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A-D    E-H    I-K    L-N    O-R    S-U    V-Z   

 

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Eduard Mörike Gedichte

Eduard Mörike: * 8. September 1804 in Ludwigsburg; † 4. Juni 1875

Eduard Mörike (Wintergedichte)
An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang


O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ist's, dass ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?

Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkäfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.

Bei hellen Augen glaub ich doch zu schwanken;
Ich schließe sie, dass nicht der Traum entweiche.
Seh ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
Zur Pforte meines Herzens hergeladen,
Die glänzend sich in diesem Busen baden,
Goldfarbgen Fischlein gleich im Gartenteiche?

Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,
Wie um die Krippe jener Wundernacht,
Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
Wer hat das friedenselige Gedränge
In meine traurigen Wände hergebracht?

Und welch Gefühl entzückter Stärke,
Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heutgen Tags getränkt,
Fühl ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
Der Genius jauchzt in mir! Doch sage,
Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
Ist's ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?

- Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:
Es ist ein Augenblick, und Alles wird verwehn!

Dort, sieh, am Horizont lüpft sich der Vorhang schon!
Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
Die Purpurlippe, die geschlossen lag,
Haucht, halbgeöffnet, süße Atemzüge:
Auf einmal blitzt das Aug, und, wie ein Gott, der Tag
Beginnt im Sprung die königlichen Flüge!

Eduard Mörike (Gedichte für Kollegen)
An Eduard Weigelin

Freund! dein heiterer Blick und deine gelassene Miene
Heißt uns die Klage des Abschieds sparen; doch tief in der Brust dir
Selber bewegt sich das männliche Herz. Wer möcht es ihm wehren?
Denn du verlässest das Haus, das dir wie dein eigenes lieb war,
Dem du die Blüte der Jahre geweiht im redlichen Tagwerk.
Aber glücklich genug, der still sich dessen bewusst ist!
Siehe, die Zeit kommt auch, da wir weggehn nacheinander,
Ungern jeder fürwahr, doch keiner mit besserem Ruhme,
Noch von treueren Wünschen der dankbaren Liebe begleitet.

Eduard Mörike (Liebesgedichte)
An die Geliebte

Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,
Dann hör ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.

Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
Dass nun in dir, zu ewiger Genüge,
Mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?

Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
Ich höre aus der Gottheit nächtger Ferne
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.

Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,
Zum Himmel auf – da lächeln alle Sterne;
Ich knie, ihrem Lichtgesang zu lauschen.

Eduard Mörike (Mutter Gedichte, Gedichte über Mütter)
An meine Mutter

Siehe, von allen den Liedern nicht eines gilt dir, o Mutter!
Dich zu preisen, o glaub's, bin ich zu arm und zu reich.
Ein noch ungesungenes Lied ruhst du mir im Busen,
Keinem vernehmbar sonst, mich nur zu trösten bestimmt,
Wenn sich das Herz unmutig der Welt abwendet und einsam
Seines himmlischen Teils bleibenden Frieden bedenkt.

An dieselbe

Ach wie liebreich warst du der Welt und dienetest allen!
Und wie klein doch, wie plump hat sie dich endlich verkannt,
Da entsagtest du ihr; doch lächelnd wehren die Deinen
Heute wie gestern der Hand, die sich in Liebe vergisst.

Eduard Mörike
An X und Y


Geistreich seid ihr, glänzend, wahrlich, dass ich euch bewundern müsste,
Wenn sich nur bei euch nicht jede Zeile selber geistreich wüsste!

Eduard Mörike (Gedichte wandern und Wanderer)
Auf einer Wanderung

In ein freundliches Städtchen tret ich ein,
In den Strassen liegt roter Abendschein.
Aus einem offnen Fenster eben,
über den reichsten Blumenflor
Hinweg, hört man Goldglockentöne schweben,
Und eine Stimme scheint ein Nachtigallenchor,
Dass die Blüten beben,
Dass die Lüfte leben,
Dass in höherem Rot die Rosen leuchten vor.
Lang hielt ich staunend, lustbeklommen.
Wie ich hinaus vors Tor gekommen,
Ich weiß es wahrlich selber nicht.
Ach hier, wie liegt die Welt so licht!
Der Himmel wogt in purpurnem Gewühle,
Rückwärts die Stadt in goldnem Rauch;
Wie rauscht der Erlenbach, wie rauscht im Grund die Mühle!
Ich bin wie trunken, irrgeführt -
O Muse, du hast mein Herz berührt
Mit einem Liebeshauch!

Eduard Mörike (Wirtshausgedichte und Lieder)
Das lustige Wirtshaus


Die Burschen:

Man lebet doch wie im Schlaraffenland hier,
Da schmauset man frühe wie spat;
Schon dreht sich der Boden vor Wonne mit mir,
Kaum dass ich die Schwelle betrat!

Der Becher, ihr Herrn, wird nur gratis gefüllt:
Der Wirt ist kein knausiger Tropf,
Er führt den Hanswurst nicht vergeblich im Schild,
Man wirft euch das Geld an den Kopf.

Der Alte soll, wisst ihr, ein Zauberer sein,
Er lächelt auch immer so schlau;
- Und seht nur, was treten für Kerl da herein?
Die Eule, der Storch und der Pfau!

Wie sittig, kratzfüßig und blöd sie sich drehn!
Pedanten vom köstlichsten Schlag!
Sie nehmen sich Stühle - das muss ich gestehn,
So was sieht man nicht alle Tag!

Mein Alter am Fässchen, er zapfet den Wein
Und hält sich vor Lachen den Bauch;
Rebekke schenkt ihnen vom feurigsten ein
Und zierlich kredenzt sie ihn auch.

Nun sitzen sie steif wie Professorsleut da,
Und lassen das Glas unberührt,
Wir Herren vom Humpen sind ihnen zu nah:
Man hat sich leicht kompromittiert.

Nur ruhig, und kehrt euch noch gar nicht an sie!
Die führen ihr Mütlein im Sack;
Es ist nur erlogene Pedanterie,
Sie sind das versoffenste Pack.

Inzwischen, mein schönes, schwarzaugiges Kind,
Komm, sing uns was Lustiges vor!

Das Mädchen:

Das kann ja geschehen; die Herren dann sind
So gütig und machen den Chor.

(Dieselbe fährt fort mit der Zither:)

- Mein Vater, der hatte drei Krebse zum Schild,
Da sprachen die Leute nicht ein:
Nun führt er den scheckigen Narren im Bild,
Er selber trinkt aber den Wein.

Chor:

Heida! sa sa!
Er selber trinkt aber den Wein.

Mädchen:

Auch seht ihr ja wohl, wie so herrlich das lauft,
Man denkt, es wär Kirmes im Haus;
Und wenn man uns Betten und Stühle verkauft,
Wir lachen die Leute noch aus.

Chor:

Heida! sa sa!
Ihr lachet die Leute noch aus.

Mädchen:

Mein Vater, heißt's, hab ein klein Männlein im Sold,
Ein Männlein, so fein und so klug,
Und wenn er nur möchte und wenn er nur wollt,
Wir hätten Dukaten genug.

Chor:

Heida! sa sa!
Ihr hättet Dukaten genug.

Mädchen:

Das lass ich nun gerne dahingestellt sein;
Was kümmert mich Silber und Gold!
Und zög ich auf Bettel landaus und landein,
Mein Schätzchen, das bliebe mir hold.

Chor:

Heida! sa sa!
Dein Schätzchen, das bliebe dir hold.

Mädchen:

Denn ich und des Schäfers sein lustiger Franz,
Wir ziehn wie die Vögel so frei,
Ich spiele die Zither, das Hackbrett zum Tanz,
Mein Liebster, der spielt die Schalmei.

Chor:

Heida! sa sa!
Dein Liebster, der spielt die Schalmei.

Mädchen:

Und wenn meine Mutter Frau Kaiserin wär,
Hätt ich Kleider und seidene Schuh,
Ich gäb doch den herzigen Jungen nicht her,
Gäb ihm Kron und Zepter dazu.

Chor:

Heida! sa sa!
Gäbst ihm Kron und Zepter dazu.

Einer:

Doch seht mir nur dort das Professorsvolk an!
Das jauchzet und tanzet und hopft!
Der Storch und der Pfau und die Eule voran -
Mein Seel, sie sind alle bezopft!

Chor:

Heida! sa sa!
Mein Seel, sie sind alle bezopft!

Eduard Mörike (Gedichte über die Jagd und Jäger)
Der Jäger

Drei Tage Regen fort und fort,
Kein Sonnenschein zur Stunde;
Drei Tage lang kein gutes Wort
Aus meiner Liebsten Munde!

Sie trutzt mit mir und ich mit ihr,
So hat sie's haben wollen;
Mir aber nagts am Herzen hier,
Das Schmollen und das Grollen.

Willkommen denn, des Jägers Lust,
Gewittersturm und Regen!
Fest zugeknöpft die heisse Brust,
Und jauchzend euch entgegen!

Nun sitzt sie wohl daheim und lacht
Und scherzt mit den Geschwistern;
Ich höre in des Waldes Nacht
Die alten Blätter flüstern.

Nun sitzt sie wohl und weinet laut
Im Kämmerlein, in Sorgen;
Mir ist es wie dem Wilde traut,
In Finsternis geborgen.

Kein Hirsch und Rehlein überall!
Ein Schuss zum Zeitvertreibe!
Gesunder Knall und Widerhall
Erfrischt das Mark im Leibe. -

Doch wie der Donner nun verhallt
In Tälern, durch die Runde,
Ein plötzlich Weh mich überwallt,
Mir sinkt das Herz zu Grunde.

Sie trutzt mit mir und ich mit ihr,
So hat sie's haben wollen,
Mir aber frissts am Herzen hier,
Das Schmollen und das Grollen.

Und auf! und nach der Liebsten Haus!
Und sie gefasst ums Mieder!
"Drück mir die nassen Locken aus,
Und küss und hab mich wieder!"

Eduard Mörike  (Zauberer Gedichte)
Der Zauberleuchtturm


Des Zauberers sein Mägdlein saß
in ihrem Saale rund von Glas;
sie spann beim hellen Kerzenschein
und sang so glockenhell darein.
Der Saal, als eine Kugel klar,
in Lüften aufgehangen war
an einem Turm auf Felsenhöh',
bei Nacht hoch ob der wilden See,
und hing in Sturm und Wettergraus
an einem langen Arm hinaus.
Wenn nun ein Schiff in Nächten schwer
sah weder Rat noch Rettung mehr,
der Lotse zog die Achsel schief,
der Hauptmann alle Teufel rief,
auch der Matrose wollt' verzagen:
O weh mir armen Schwartenmagen!
Auf einmal scheint ein Licht von fern
als wie ein heller Morgenstern;
die Mannschaft jauchzet überlaut:
Heida! jetzt gilt es trockne Haut!
Aus allen Kräften steuert man
jetzt nach dem teuren Licht hinan,
das wächst und wächst und leuchtet fast
wie einer Zaubersonne Glast,
darin ein Mägdlein sitzt und spinnt,
sich beuget ihr Gesang im Wind;
die Männer stehen wie verzückt,
ein jeder nach dem Wunder blickt
und horcht und staunet unverwandt,
dem Steuermann entsinkt die Hand,
hat keiner acht mehr auf das Schiff;
das kracht mit eins am Felsenriff,
die Luft zerreißt ein Jammerschrei:
Herr Gott im Himmel, steh uns bei!
Da löscht die Zauberin ihr Licht;
noch einmal aus der Tiefe bricht
verhallend Weh aus einem Mund;
da zuckt das Schiff und sinkt zu Grund.

Eduard Mörike (Weihnachtsgedichte)
Die heilige Nacht

Gesegnet sei die heilige Nacht,
die uns das Licht der Welt gebracht! -

Wohl unterm lieben Himmelszelt
die Hirten lagen auf dem Feld.

Ein Engel Gottes, licht und klar,
mit seinem Gruß tritt auf sie dar.

Vor Angst sie decken ihr Angesicht,
da spricht der Engel: "Fürcht' euch nicht!"

"Ich verkünd euch große Freud:
Der Heiland ist geboren heut."

Da gehn die Hirten hin in Eil,
zu schaun mit Augen das ewig Heil;

zu singen dem süßen Gast Willkomm,
zu bringen ihm ein Lämmlein fromm. -

Bald kommen auch gezogen fern
die heilgen drei König' mit ihrem Stern.

Sie knien vor dem Kindlein hold,
schenken ihm Myrrhen, Weihrauch, Gold.

Vom Himmel hoch der Engel Heer
frohlocket: "Gott in der Höh sei Ehr!"

Eduard Mörike (Heidegedichte)
Die Tochter der Heide


Wasch dich, mein Schwesterchen, wasch dich!
Zu Robins Hochzeit gehn wir heut:
Er hat die stolze Ruth gefreit.
Wir kommen ungebeten;
Wir schmausen nicht, wir tanzen nicht
Und nicht mit lachendem Gesicht
Komm ich vor ihn zu treten.

Strähl dich, mein Schwesterchen, strähl dich
Wir wollen ihm singen ein Rätsel-Lied,
Wir wollen ihm klingen ein böses Lied;
Die Ohren sollen ihm gellen.
Ich will ihr schenken einen Kranz
Von Nesseln und von Dornen ganz.
Damit fährt sie zur Hölle!

Schick dich, mein Schwesterchen, schmück dich!
Derweil sie alle sind am Schmaus,
Soll rot in Flammen stehn das Haus,
Die Gäste schreien und rennen.
Zwei sollen sitzen unverwandt,
Zwei hat ein Sprüchlein festgebannt;
Zu Kohle müssen sie brennen.

Lustig, mein Schwesterchen, lustig!
Das war ein alter Ammensang.
Den falschen Rob vergaß ich lang.
Er soll mich sehen lachen!
Hab ich doch einen andern Schatz,
Der mit mir tanzet auf dem Platz -
Sie werden Augen machen!

Eduard Mörike (Gedichte für Kollegen)
Eberhard Wächter


In seine hohen Wände eingeschlossen,
Mit traurig schönen Geistern im Verkehr,
Gestärkt am reinen Atem des Homer,
Von Goldgewölken Attikas umflossen:

Also vor seinen Tüchern unverdrossen,
Fern von dem Markt der Künste, sitzet er;
Kein Neid verletzt, kein Ruhm berauscht ihn mehr.
Ihm blüht ein Kranz bei herrlichern Genossen.

O kommt und schaut ein selig Künstlerleben!
Besuchet ihn am abendlichen Herd,
Wenn diese Stirne, sich der Wunderschwingen

Des Genius erwehrend, sich nur eben
Erheitert zu dem Alltagskreise kehrt,
Den Weib und Kinder scherzend um ihn schlingen.

Eduard Mörike (Gedichte über die Jagd und Jäger)
Erbauliche Betrachtung


Als wie im Forst einJäger, der, am heißen Tag
Im Eichenschatten ruhend, mit zufriednem Blick
Auf seine Hunde niederschaut, das treue Paar,
Das, Hals um Hals geschlungen, brüderlich den Schlaf,
Und schlafend noch des Jagens Lust und Mühe teilt:
So schau ich hier an des Gehölzes Schattenrand
Bei kurzer Rast auf meiner eignen Füße Paar
Hinab, nicht ohne Rührung; in gewissem Sinn
Zum ersten Mal, so alt ich bin, betracht ich sie,
Und bin fürwahr von ihrem Dasein überrascht,
Wie sie, in Schuhn bis überm Knöchel eingeschnürt,
Bestäubt da vor mir liegen im verlechzten Gras.

Wie manches Lustrum, ehrliche Gesellen, schleppt
Ihr mich auf dieser buckeligen Welt umher,
Gehorsam eurem Herren jeden Augenblick,
Tag oder Nacht, wohin er nur mit euch begehrt.
Sein Wandel mochte töricht oder weislich sein,
Den besten Herrn, wenn man euch hörte, trugt ihr stets.
Ihr seid bereit, den Unglimpf, der ihm widerfuhr,
- Und wäre sein Beleidiger ein Reichsbaron -
Alsbald zu strafen mit ergrimmtem Hundetritt
(Doch hierfür hat er selber zu viel Lebensart).
Wo war ein Berg zu steil für euch, zu jäh ein Fels?
Und glücklich immer habt ihr mich nach Haus gebracht;
Gleichwohl noch nie mit einem Wörtchen dankt ich euch,
Vom Schönsten was mein Herz genoss erfuhrt ihr nichts!

Wenn, von der blausten Frühlingsmitternacht entzückt,
Oft aus der Gartenlaube weg vom Zechgelag
Mein hochgestimmter Freund mich noch hinausgelockt,
Die offne Straße hinzuschwärmen raschen Gangs,
Wir Jünglinge, des Jugendglückes Übermaß
Als baren Schmerz empfindend, ins Unendliche
Die Geister hetzten, und die Rede wie Feuer troff,
Bis wir zuletzt an Kühnheit mit dem sichern Mann
Wetteiferten, da dieser Urwelts-Göttersohn
In Flößerstiefeln vom Gebirg zum Himmel sich
Verstieg und mit der breiten Hand der Sterne Heer
Zusammenstrich in einen Habersack und den
Mit großem Schnaufen bis zum Rand der Schöpfung trug
Den Plunder auszuschütteln vor das Weltentor -
Ach, gute Bursche, damals wart ihr auch dabei,
Und wo nicht sonst, davon ich jetzo schweigen will!

Bleibt mir getreu, und altert schneller nicht als ich!
Wir haben, hoff ich, noch ein schön Stück Wegs vor uns;
Zwar weiß ichs nicht, den Göttern sei es heimgestellt.
Doch wie es falle, lasst euch nichts mit mir gereun.
Auf meinem Grabstein soll man ein Paar Schuhe sehn,
Den Stab darüber und den Reisehut gelegt,
Das beste Sinnbild eines ruhenden Wandersmanns.
Wer dann mich segnet, der vergisst auch eurer nicht.

Genug für jetzt! denn dort seh ichs gewitterschwer
Von Mittag kommen, und mich deucht, es donnert schon.
Eh uns der Regen übereilt, ihr Knaben, auf!
Die Steig hinab! zum Städtchen langt sichs eben noch.

Eduard Mörike (Frühlingsgedichte)
Er ist's


Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohl bekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
- Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist' s!
Dich hab' ich vernommen!

Eduard Mörike
Ideale Wahrheit


Gestern entschlief ich im Wald, da sah ich im Traume das kleine
Mädchen, mit dem ich als Kind immer am liebsten verkehrt.
Und sie zeigte mir hoch im Gipfel der Eiche den Kuckuck,
Wie ihn die Kindheit denkt, prächtig gefiedert und groß,
"Drum! dies ist der wahrhaftige Kuckuck!" - rief ich - "Wer sagte
Mir doch neulich, er sei klein nur, unscheinbar und grau?"

Eduard Mörike (Frühlingsgedichte)
Im Frühling


Hier lieg ich auf dem Frühlingshügel
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag mir, einzige Liebe,
Wo du bleibst, dass ich bei dir bliebe
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
Sehnend,
Sich dehnend
In Lieben und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd ich gestillt?

Die Wolke seh ich wandeln und den Fluss,
Es dringt der Sonne goldener Kuss
Mir tief ins Geblüt hinein;
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

Ich denke dies und denke das,<
Ich sehne mich und weiß nicht recht, nach was.
Halb ist es Lust, halb ist es Klage.
Mein Herz, o sage,

Was webst du für Erinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung?
Alte unnennbare Tage.

Eduard Mörike (Frühlingsgedichte)
Im Park


Sieh, der Kastanie kindliches Laub hängt noch wie der feuchte
Flügel des Papillons, wenn er die Hülle verließ;
Aber in laulicher Nacht der kürzeste Regen entfaltet
Leise die Fächer und deckt schnelle den luftigen Gang.
- Du magst eilen, o himmlischer Frühling, oder verweilen,
Immer dem trunkenen Sinn fliehst du, ein Wunder, vorbei.

Eduard Mörike (Gedichte für Verliebte)
Im Weinberg


Droben im Weinberg, unter dem blühenden Kirschbaum saß ich
Heut, einsam in Gedanken vertieft; es ruhte das Neue
Testament halboffen mir zwischen den Fingern im Schosse,
Klein und zierlich gebunden: (es kam vom treuesten Herzen
Ach! du ruhest nun auch, mir unvergessen im Grabe!)
Lang so saß ich und blickte nicht auf; mit einem da lässt sich
Mir ein Schmetterling nieder aufs Buch, er hebet und senket
Dunkele Flügel mit schillerndem Blau, er dreht sich und wandelt
Hin und her auf dem Rande. Was suchst du, reizender Sylphe?
Lockt die purpurne Decke dich an, der glänzende Goldschnitt?
Sahst du, getäuscht, im Büchlein die herrlichste Wunderblume?
Oder zogen geheim dich himmlische Kräfte hernieder
Des lebendigen Worts? Ich muss so glauben, denn immer
Weilest du noch, wie gebannt, und scheinst wie trunken, ich staune!
Aber von nun an bist du auf alle Tage gesegnet!
Unverletzlich dein Leib, und es altern dir nimmer die Schwingen.
Ja, wohin du künftig die zarten Füße wirst setzen
Tauet Segen von dir. Jetzt eile hinunter zum Garten,
Welchen das beste der Mädchen besucht am frühesten Morgen,
Eile zur Lilie du - alsbald wird die Knospe sich öffnen
Unter dir; dann küsse sie tief in den Busen: von Stund an
Göttlich befruchtet, atmet sie Geist und himmlisches Leben.
Wenn die Gute nun kommt, vor den hohen Stängel getreten,
Steht sie befangen, entzückt von paradiesischer Nähe,
Ahnungsvoll in den Kelch die liebliche Seele versenkend.

Eduard Mörike (Gedichte über die Jagd und Jäger)
Jägerlied

Zierlich ist des Vogels Tritt im Schnee,
Wenn er wandelt auf des Berges Höh:
Zierlicher schreibt Liebchens liebe Hand,
Schreibt ein Brieflein mir in ferne Land'.

In die Lüfte hoch ein Reiher steigt,
Dahin weder Pfeil noch Kugel fleugt:
Tausendmal so hoch und so geschwind
Die Gedanken treuer Liebe sind.

Eduard Mörike (Karwoche Gedichte über Ostern)
Karwoche


O Woche, Zeugin heiliger Beschwerde!
Du stimmst so ernst zu dieser Frühlingswonne,
Du breitest im verjüngten Strahl der Sonne
Des Kreuzes Schatten auf die lichte Erde,

Und senkest schweigend deine Flöre nieder;
Der Frühling darf indessen immer keimen,
Das Veilchen duftet unter Blütenbäumen
Und alle Vöglein singen Jubellieder.

O schweigt, ihr Vöglein auf den grünen Auen!
Es hallen rings die dumpfen Glockenklänge,
Die Engel singen leise Grabgesänge;
O still, ihr Vöglein hoch im Himmelblauen!

Ihr Veilchen, kränzt heut keine Lockenhaare!
Euch pflückt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße,
Ihr wandert mit zum Muttergotteshause,
Da sollt ihr welken auf des Herrn Altare.

Ach dort, von Trauermelodien trunken,
Und süß betäubt von schweren Weihrauchdüften,
Sucht sie den Bräutigam in Todesgrüften,
Und Lieb' und Frühling, alles ist versunken!

Eduard Mörike (Windgedichte)
Lied vom Winde


Sausewind, Brausewind,
dort und hier!
Deine Heimat sage mir!

"Kindlein, wir fahren
seit viel vielen Jahren
durch die weit weite Welt,
und möchten's erfragen,
die Antwort erjagen
bei den Bergen, den Meeren,
bei des Himmels klingenden Heeren:
Die wissen es nie.
Bist du klüger als sie,
magst du es sagen. -
Fort, wohlauf!
Halt uns nicht auf!
Kommen andre nach, unsre Brüder,
da frag wieder!"

Halt an! Gemach,
Eine kleine Frist!
Sagt, wo der Liebe Heimat ist,
Ihr Anfang, ihr Ende?

"Wer's nennen könnte!
Schelmisches Kind,
Lieb ist wie Wind,
Rasch und lebendig,
Ruhet nie,
Ewig ist sie,
Aber nicht immer beständig.
- Fort! Wohlauf! auf!
Halt uns nicht auf!
Fort über Stoppel, und Wälder, und Wiesen!
Wenn ich dein Schätzchen seh,
Will ich es grüssen.
Kindlein, ade!"

Eduard Mörike (Ritter Gedichte)
Ritterliche Werbung
Englisch


Wo gehst du hin, du schönes Kind?
Zu melken, Herr! - sprach Gotelind.

Wer ist dein Vater, du schönes Kind?
Der Müller im Tal - sprach Gotelind.

Wie, wenn ich dich freite, schönes Kind?
Zu viel der Ehre! - sprach Gotelind.

Was hast du zur Mitgift, schönes Kind?
Herr, mein Gesicht! - sprach Gotelind.

So kann ich dich nicht wohl frein, mein Kind.
Wer hat's Euch geheißen? - sprach Gotelind.

Eduard Mörike (Mutter Gedichte, Gedichte über Mütter)
Selbstgeständnis

Ich bin meiner Mutter einzig Kind,
und weil die andern ausblieben sind,
was weiß ich wieviel, die Sechs oder Sieben,
ist eben Alles an mir hängen blieben;
Ich hab' müssen die Liebe,
die Treue, die Güte
für ein ganz halb Dutzend allein aufessen,
ich will's mein Lebtag nicht vergessen.
Es hätte mir aber noch wohl mögen frommen,
hätt' ich nur auch Schläg' für Sechse bekommen.

Eduard Mörike (Herbstgedichte)
Septembermorgen

Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.

Eduard Mörike (Gedichte wandern und Wanderer)
Wandererlied


Entflohn sind wir der Stadt Gedränge
Wie anders leuchtet hier der Tag!
Wie klingt in unsre Lustgesänge
Lerchensang hier und Wachtelschlag!
Nun wandern wir und lassen gerne
Herrn Griesgram zu Haus;
Ein frischer Blick dringt in die Ferne
Nur immer hinaus!
Wir wandern bis der späte Abend taut,
Wir rasten bis der Morgen wieder graut.

Man lagert sich am Schattenquelle,
Wo erst das muntre Reh geruht;
Aus hohler Hand trinkt sich der helle
Kühle Trank wohl noch eins so gut,
Nun wandern wir usw.

Eduard Mörike (Frühlingsgedichte)
Zitronenfalter im April


Grausame Frühlingssonne,
Du weckst mich vor der Zeit,
Dem nur in Maienwonne
Die zarte Kost gedeiht!
Ist nicht ein liebes Mädchen hier,
Das auf der Rosenlippe mir
Ein Tröpfchen Honig beut,
So muss ich jämmerlich vergehn
Und wird der Mai mich nimmer sehn
In meinem gelben Kleid.

Eduard Mörike (Neujahrs Gedichte, Neujahrstag)
Zum neuen Jahr


Wie heimlicher Weise
Ein Engelein leise
Mit rosigen Füßen
Die Erde betritt,
So nahte der Morgen,
Jauchzt ihm, ihr Frommen,
Ein heilig Willkommen,
Ein heilig Willkommen!
Herz, jauchze du mit!

In Ihm sei's begonnen,
Der Monde und Sonnen
An blauen Gezelten
Des Himmels bewegt.
Du, Vater, du rate!
Lenke du und wende!
Herr, dir in die Hände
Sei Anfang und Ende,
Sei alles gelegt!

Eduard Mörike (Neujahrs Gedichte, Neujahrstag)
Zum Neujahr mit einem Taschenkalender


An tausend Wünsche, federleicht,
Wird sich kein Gott noch Engel kehren,
Ja, wenn es so viel Flüche wären,
Dem Teufel wären sie zu seicht.
Doch wenn ein Freund in Lieb und Treu
Dem andern den Kalender segnet,
So steht ein guter Geist dabei.
Du denkst an mich, was Liebes dir begegnet,
Ob dir's auch ohne das beschieden sei.

Eduard Mörike (Trinkergedichte)
Zur Warnung


Einmal nach einer lustigen Nacht
War ich am Morgen seltsam aufgewacht:
Durst, Wasserscheu, ungleich Geblüt;
Dabei gerührt und weichlich im Gemüt,
Beinah poetisch, ja, ich bat die Muse um ein Lied.
Sie, mit verstelltem Pathos, spottet' mein,
Gab mir den schnöden Bafel ein:
"Es schlagt eine Nachtigall
Am Wasserfall;
Und ein Vogel ebenfalls,
Der schreibt sich Wendehals,
Johann Jakob Wendehals;
Der tut tanzen
Bei den Pflanzen
Obbemeld'ten Wasserfalls -"
So ging es fort; mir wurde immer bänger.
Jetzt sprang ich auf: zum Wein! Der war denn auch mein Retter.
- Merkt's euch, ihr tränenreichen Sänger,
Im Katzenjammer ruft man keine Götter!

Eduard Mörike (Frühlingsgedichte) (Liebesgedichte)
Zu viel


Der Himmel glänzt vom reinsten Frühlingslichte,
Ihm schwillt der Hügel sehnsuchtsvoll entgegen,
Die starre Welt zerfließt in Liebessegen,
Und schmiegt sich rund zum zärtlichsten Gedichte.

Am Dorfeshang, dort bei der luftgen Fichte,
Ist meiner Liebsten kleines Haus gelegen –
O Herz, was hilft dein Wiegen und dein Wägen,
Dass all der Wonnestreit in dir sich schlichte!

Du, Liebe, hilf den süßen Zauber lösen,
Womit Natur in meinem Innern wühlet!
Und du, oh Frühling, hilf die Liebe beugen!

Lisch aus, o Tag! Lass mich in Nacht genesen!
Indes ihr sanften Sterne göttlich kühlet,
Will ich zum Abgrund der Betrachtung steigen. </>

Eduard Mörike
Zwiespalt


Hassen und lieben zugleich muss ich. - Wie das?
- Wenn ichs wüsste!
Aber ich fühls, und das Herz möchte zerreißen in mir.

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