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Annette von Droste-Hülshoff Gedichte

Annette von Droste-Hülshoff: * 4. M 1646, † 22. M 1699

Annette von Droste-Hülshoff  (Weihnachtsgedichte)
Am Feste der heiligen drei Könige


Durch die Nacht drei Wandrer ziehn,
Um die Stirnen Purpurbinden,
Tiefgebräunt von heißen Winden
Und der langen Reise Mühn.
Durch der Palmen säuselnd Grün
Folgt der Diener Schar von weiten;
Von der Dromedare Seiten
Goldene Kleinode glühn,
Wie sie klirrend vorwärts schreiten,
Süße Wohlgerüche fliehn.

Finsternis hüllt schwarz und dicht
Was die Gegend mag enthalten;
Riesig drohen die Gestalten:
Wandrer, fürchtet ihr euch nicht?
Doch ob tausend Schleier flicht
Los' und leicht die Wolkenaue:
Siegreich durch das zarte Graue
Sich ein funkelnd Sternlein bricht.
Langsam wallt es durch das Blaue,
Und der Zug folgt seinem Licht.

Horch, die Diener flüstern leis:
"Will noch nicht die Stadt erscheinen
Mit den Tempeln und den Hainen,
Sie, der schweren Mühe Preis?
Ob die Wüste brannte heiß,
Ob die Nattern uns umschlangen,
Uns die Tiger nachgegangen,
Ob der Glutwind dörrt' den Schweiß:
Augen an den Gaben hangen
Für den König stark und weiß."

Sonder Sorge, sonder Acht,
Wie drei stille Monde ziehen
Um des Sonnensternes Glühen,
Ziehn die Dreie durch die Nacht.
Wenn die Staublawine kracht,
Wenn mit grausig schönen Flecken
Sich der Wüste Blumen strecken,
Schaun sie still auf jene Macht,
Die sie sicher wird bedecken,
Die den Stern hat angefacht.

O ihr hohen heil'gen Drei!
In der Finsternis geboren
Hat euch kaum ein Strahl erkoren,
Und ihr folgt so fromm und treu!
Und du meine Seele, frei
Schwelgend in der Gnade Wogen,
Mit Gewalt ans Licht gezogen,
Suchst die Finsternis aufs Neu!
O wie hast du dich betrogen;
Tränen blieben dir und Reu!

Dennoch, Seele, fasse Mut!
Magst du nimmer gleich ergründen,
Wie du kannst Vergebung finden:
Gott ist über Alles gut!
Hast du in der Reue Flut
Dich gerettet aus der Menge,
Ob sie dir das Mark versenge
Siedend in geheimer Glut,
Lässt dich nimmer dem Gedränge,
Der dich warb mit seinem Blut.

Einen Strahl bin ich nicht wert,
Nicht den kleinsten Schein von oben.
Herr, ich will dich freudig loben,
Was dein Wille mir beschert!
Sei es Gram, der mich verzehrt,
Soll mein Liebstes ich verlieren,
Soll ich keine Tröstung spüren,
Sei mir kein Gebet erhört:
Kann es nur zu dir mich führen,
Dann willkommen Flamm' und Schwert!

Annette von Droste-Hülshoff (Sylvestergedichte)
Am letzten Tag des Jahres


Das Jahr geht um,
der Faden rollt sich sausend ab.
Ein Stündchen noch, das letzte heut,
Und stäubend rieselt in sein Grab,
was einstens war lebendge Zeit.
Ich harre stumm.

's ist tiefe Nacht!
Ob wohl ein Auge offen noch?
In diesen Mauern rüttelt dein
Verinnen, Zeit! Mir schaudert, doch
Es will die letzte Stunde sein
Einsam durchwacht,

Gesehen all,
Was ich begangen und gedacht.
Was mir aus Haupt und Herzen stieg,
Das steht nun eine ernste Wacht
Am Himmelstor, O halber Sieg!
O schwerer Fall!

Wie reißt der Wind
Am Fensterkreuze! Ja, es will
Auf Sturmesfittichen das Jahr
Zerstäuben, nicht ein Schatten still
Verhauchen unterm Sternenklar.
Du Sündenkind,

War nicht ein hohl
Und heimlich Sausen jeder Tag
In deiner wüsten Brust Verlies,
Wo langsam Stein an Stein zerbrach,
wenn es den kalten Odem stieß
Vom starren Pol?

Mein Lämpchen will
Verlöschen, und begierig saugt
Der Docht den letzten Tropfen Öl.
Ist so mein Leben auch verraucht?
Eröffnet sich des Grabes Höhl
Mir schwarz und still?

Wohl in dem Kreis,
Den dieses Jahres Lauf umzieht,
Mein Leben bricht. Ich wusst es lang!
Und dennoch hat dies Herz geglüht
In eitler Leidenschaften Drang!
Mir brüht der Schweiß

Der tiefsten Angst
Auf Stirn und Hand. - Wie? dämmert feucht
Ein Stern dort durch die Wolken nicht?
Wär es der Liebe Stern vielleicht,
Dir zürnend mit dem trüben Licht,
Dass du so bangst?

Und wieder? Sterbemelodie!
Die Glocke regt den ehrnen Mund.
O Herr, ich falle auf das Knie:
Sei gnädig meiner letzten Stund!
Das Jahr ist um!

Annette von Droste-Hülshoff (Neujahrs Gedichte, Neujahrstag)
Am Neujahrstage


Das Auge sinkt, die Sinne wollen scheiden:
»Fahr wohl, du altes Jahr, mit Freud und Leiden!
Der Himmel schenkt ein neues, wenn er will.«
So neigt der Mensch sein Haupt an Gottes Güte,
Die alte fällt, es keimt die neue Blüte
Aus Eis und Schnee, die Pflanze Gottes, still.

Die Nacht entflieht, der Schlaf den Augenlidern:
»Willkommen junger Tag mit deinen Brüdern!
Wo bist du denn, du liebes neues Jahr?«
Da steht es in des Morgenlichtes Prangen,
Es hat die ganze Erde rings umfangen,
Und schaut ihm in die Augen ernst und klar.

»Gegrüßt du Menschenherz mit deinen Schwächen,
Du Herz voll Kraft und Reue und Gebrechen,
Ich bringe neue Prüfungszeit vom Herrn!« -
»Gegrüßt du neues Jahr mit deinen Freuden,
Das Leben ist so süß, und wären's Leiden,
Ach, alles nimmt man mit dem Leben gern!«

»O Menschenherz, wie ist dein Haus zerfallen!
Wie magst du doch, du Erbe jener Hallen,
Wie magst du wohnen in so wüstem Graus!«
»O neues Jahr, ich bin ja nie daheime!
Ein Wandersmann durchzieh' ich ferne Räume,
Es heißt wohl so, es ist doch nicht mein Haus.«

»O Menschenherz, was hast du denn zu treiben,
Dass du nicht kannst in deiner Heimat bleiben
Und halten sie bereit für deinen Herrn?«
»O neues Jahr, du musst noch viel erfahren;
Kennst du nicht Krieg und Seuchen und Gefahren?
Und meine liebsten Sorgen wohnen fern.«

»O Menschenherz, kannst du denn alles zwingen?
Muss dir der Himmel Tau und Regen bringen?
Und öffnet sich die Erde deinem Wort?« -
»Ach nein! ich kann nur sehn und mich betrüben,
Es ist noch leider nach wie vor geblieben
Und geht die angewies'nen Wege fort.«

»O tückisch Herz, du willst es nur nicht sagen,
Die Welt hat ihre Zelte aufgeschlagen,
Drin labt sie dich mit ihrem Taumelwein.«
»Der bittre Becher mag mich nicht erfreuen,
Sein Schaum heißt Sünde und sein Trank Gereuen,
Zudem lässt mich die Sorge nie allein.«

»Hör' an, o Herz, ich will es dir verkünden,
Willst du den Pfeil in seinem Fluge binden?
Du siehst sein Ziel nicht, hat er darum keins?« -
»Ich weiß es wohl, uns ist ein Tag bereitet,
Da wird es klar, wie alles wohl geleitet,
Und all die tausend Ziele dennoch eins.«

O Herz, du bist von Torheit ganz befangen!
Dies alles weißt du, und dir kann noch bangen!
O böser Diener, treulos aller Pflicht!
Ein jeglich Ding füllt seinen Platz mit Ehren,
Geht seinen Weg und lässt sich nimmer stören,
Dein Gleichnis gibt es auf der Erde nicht!

Du hast den Frieden freventlich vertrieben!
Doch Gottes Gnad' ist grundlos wie sein Lieben,
O kehre heim in dein verödet Haus!
Kehr' heim in deine dunkle wüste Zelle,
Und wasche sie mit deinen Tränen helle
Und lüfte sie mit deinen Seufzern aus!

Und willst du treu die Blicke aufwärts wenden,
So wird der Herr sein heilig Bild dir senden,
Dass du es hegst in Glauben und Vertraun,
Dann darf ich einst an deinem Kranze winden,
Und sollte dich das neue Jahr noch finden,
So mög' es in ein Gotteshäuslein schaun!

Annette von Droste-Hülshoff (Weihnachtsgedichte)
Am Sonntage nach Weihnachten


»Das Kind aber wuchs heran und ward
gestärket, voll der Weisheit, und Gottes
Gnade war mit ihm«

An Jahren reif und an Geschicke
Blieb ich ein Kind vor Gottes Augen,
Ein schlimmes Kind voll schwacher Tücke,
Die selber mir zu schaden taugen.
Nicht hat Erfahrung mich bereichert;
Wüst ist mein Kopf, der Busen leer;
Ach keine Frucht hab' ich gespeichert
Und schau auch keine Saaten mehr!

Ging so die teure Zeit verloren,
Die über Hoffen zugegeben
Dem Wesen, was noch kaum geboren
Schon schmerzlich kämpfte um sein Leben:
Ich, die den Tod seit Jahren fühle
Sich langsam nagend bis ans Herz,
Weh' mir, ich treibe Kinderspiele,
Als sei der Sarg ein Mummenscherz!

In siechen Kindes Haupte dämmert
Das unverstandne Missbehagen;
So, wenn der Grabwurm lauter hämmert,
Fühl' bänger ich die Pulse schlagen.
Dann bricht hervor das matte Stöhnen,
Der kranke, schmerzgedämpfte Schrei;
Ich lange mit des Wurmes Dehnen
Sehnsüchtig nach der Arzenei.

Doch wenn ein frischer Hauch die welke,
Todsieche Nessel hat berühret,
Dann hält sie sich wie Ros' und Nelke
Und meint sich königlich gezieret.
O Leichtsinn, Leichtsinn sonder Gleichen,
Als ob kein Seufzer ihn gestört!
Und doch muss ich vor Gram erbleichen,
Durch meine Seele ging ein Schwert.

Wer musst' so vieles Leid erfahren
An Körpernot und Seelenleiden
Und dennoch in so langen Jahren
Sich von der Welt nicht mochte scheiden:
Ob er als Frevler sich dem Rade,
Als Tor geselle sich dem Spott,
O sei barmherzig, ew'ge Gnade,
Richt ihn als Toren, milder Gott!

Du hast sein siedend Hirn gebildet,
Der Nerven rastlos flatternd Spielen
Nicht von gesundem Blut geschildet,
Weißt seine dumpfe Angst zu fühlen,
Wenn er sich windet unter Schlingen,
Zu mächtig ihm und doch verhasst,
Er gern ein Opfer möchte bringen,
Wenn es nur seine Hand erfasst'.

Was Sünde war, du wirst es richten,
Und meine Strafe muss ich tragen;
Und was Verwirrung, wirst du schlichten,
Weit gnäd'ger, als ich dürfte sagen.
Wenn klar das Haupt, die Fäden löser,
Was dann mein Teil, ich weiß es nicht;
Jetzt kann ich stammeln nur: »Erlöser,
Ich gebe mich in dein Gericht!«

Annette von Droste-Hülshoff (Gedichte zum Muttertag)
An meine Mutter


So gern hätt' ich ein schönes Lied gemacht,
Von deiner Liebe, deiner treuen Weise,
Die Gabe, die für andre immer wacht,
Hätt' ich so gern geweckt zu deinem Preise.

Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen,
Des Herzens Fluten rollten drüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.

So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
vom einfach ungeschmückten Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin;
Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.

Annette von Droste-Hülshoff 
An die Weltverbesserer


Pochest du an - poch nicht zu laut,
Eh' du geprüft des Nachhalls Dauer!
Drückst du die Hand - drück nicht zu traut!
Eh du gefragt des Herzens Schauer!
Wirfst du den Stein - bedenke wohl,
Wie weit ihn deine Hand wird treiben!
Oft schreckt ein Echo, dumpf und hohl,
Reicht goldne Hand dir den Obol,
Oft trifft ein Wurf des Nachbars Scheiben.

Höhlen gibt es am Meeresstrand,
Gewalt'ge Stalaktitendome,
Wo bläulich zuckt der Fackeln Brand,
Und Kähne gleiten wie Phantome.
Das Ruder schläft, der Schiffer legt
Die Hand dir angstvoll auf die Lippe,
Ein Räuspern nur, ein Fuß geregt,
Und donnernd überm Haupte schlägt
Zusammen dir die Riesenklippe.

Und Hände gibt's im Orient,
Wie Schwäne weiß, mit blauen Malen,
In denen zwiefach Feuer brennt,
Als gelt' es Liebesglut zu zahlen;
Ein leichter Tau hat sie genässt,
Ein leises Zittern sie umflogen,
Sie fassen krampfhaft, drücken fest -
Hinweg, hinweg! du hast die Pest
In deine Poren eingesogen!

Auch hat ein Dämon einst gesandt
Den gift'gen Pfeil zum Himmelsbogen;
Dort rührt ihn eines Gottes Hand,
Nun starrt er in den Ätherwogen.
Und lässt der Zauber nach, dann wird
Er niederprallen mit Geschmetter,
Dass das Gebirg' in Scherben klirrt,
Und durch der Erde Adern irrt
Fortan das Gift der Höllengötter.

Drum poche sacht - du weißt es nicht,
Was dir mag überm Haupte schwanken.
Drum drücke sacht - der Augen Licht
Wohl siehst du, doch nicht der Gedanken.
Wirf nicht den Stein zu jener Höh'
Wo dir gestaltlos Form und Wege,
Und schnelltest du ihn einmal je,
So fall' auf deine Knie und fleh',
Dass ihn ein Gott berühren möge.

Annette von Droste-Hülshoff  (Weihnachtsgedichte)
Das Haus in der Heide


Wie lauscht, vom Abendschein umzuckt,
die strohgedeckte Hütte,
recht wie im Nest der Vogel duckt,
aus dunkler Föhren Mitte.

Am Fensterloche streckt das Haupt
die weißgestirnte Sterke,
bläst in den Abendduft und schnaubt
und stößt ans Holzgewerke.

Seitab ein Gärtchen, dornumhegt,
mit reinlichem Gelände,
wo matt ihr Haupt die Glocke trägt,
aufrecht die Sonnenwende.

Und drinnen kniet ein stilles Kind,
das scheint den Grund zu jäten,
nun pflückt sie eine Lilie lind
und wandelt längs den Beeten.

Am Horizonte Hirten, die
im Heidekraut sich strecken
und mit des Aves Melodie
träumende Lüfte wecken.

Und von der Tenne ab und an
schallt es wie Hammerschläge,
der Hobel rauscht, es fällt der Span,
und langsam knarrt die Säge.

Da hebt der Abendstern gemach
sich aus den Föhrenzweigen,
und grade ob der Hütte Dach
scheint er sich mild zu neigen.

Es ist ein Bild, wie still und heiß
es alte Meister hegten,
kunstvolle Mönche, und mit Fleiß
es auf den Goldgrund legten:

Der Zimmermann - die Hirten gleich
mit ihrem frommen Liede,
die Jungfrau mit dem Lilienzweig,
und rings der Gottesfriede.

Des Sternes wunderlich Geleucht
aus zarten Wolkenfloren -
Ist etwa hier im Stall vielleicht.

Annette von Droste-Hülshoff  (Frühlingsgedicht)
Der Frühling ist die schönste Zeit


Der Frühling ist die schönste Zeit!
Was kann wohl schöner sein?
Da grünt und blüht es weit und breit
Im goldnen Sonnenschein.
Am Berghang schmilzt der letzte Schnee,
Das Bächlein rauscht zu Tal,
Es grünt die Saat, es blinkt der See
Im Frühlingssonnenstrahl.
Die Lerchen singen überall,
Die Amsel schlägt im Wald!
Nun kommt die liebe Nachtigall
Und auch der Kuckuck bald.
Nun jauchzet alles weit und breit,
Da stimmen froh wir ein:
Der Frühling ist die schönste Zeit!
Was kann wohl schöner sein?

Annette von Droste-Hülshoff (Balladen)
Der Graf von Thal

I
Das war der Graf von Thal,
So ritt an der Felsenwand;
Das war sein ehlich Gemahl,
Die hinter dem Steine stand.

Sie schaut' im Sonnenstrahl
Hinunter den linden Hang,
"Wo bleibt der Graf von Thal?
Ich hört' ihn doch reiten entlang!

Ob das ein Hufschlag ist?
Vielleicht ein Hufschlag fern?
Ich weiß doch wohl ohne List,
Ich hab' gehört meinen Herrn!"

Sie bog zurück den Zweig.
"Bin blind ich oder auch taub?"
Sie blinzelt' in das Gesträuch
Und horcht' auf das rauschende Laub.

Öd war's, im Hohlweg leer,
Einsam im rispelnden Wald;
Doch überm Weiher, am Wehr,
Da fand sie den Grafen bald.

In seinen Schatten sie trat.
Er und seine Gesellen,
Die flüstern und halten Rat,
Viel lauter rieseln die Wellen.

Sie starrten über das Land,
Genau sie spähten, genau,
Sahn jedes Zweiglein am Strand,
Doch nicht am Wehre die Frau.

Zur Erde blickte der Graf,
So sprach der Graf von Thal:
"Seit dreizehn Jahren den Schlaf
Rachlose Schmach mir stahl."

"War das ein Seufzer lind?
Gesellen, wer hat's gehört?"
Sprach Kurt: "Es ist nur der Wind,
Der über das Schilfblatt fährt." –

"So schwör' ich beim höchsten Gut,
Und wär's mein ehlich Weib,
Und wär's meines Bruders Blut,
Viel minder mein eigner Leib:

Nichts soll mir wenden den Sinn,
Dass ich die Rache ihm spar';
Der Freche soll werden inn',
Zins tragen auch dreizehn Jahr'.

Bei Gott! das war ein Gestöhn!"
Sie schossen die Blicke in Hast.
Sprach Kurt: "Es ist der Föhn,
Der macht seufzen den Tannenast." –

"Und ist sein Aug' auch blind,
Und ist sein Haar auch grau,
Und mein Weib seiner Schwester Kind –"
Hier tat einen Schrei die Frau.

Wie Wetterfahnen schnell
Die Dreie wendeten sich.
"Zurück, zurück, mein Gesell!
Dieses Weibes Richter bin ich.

Hast du gelauscht, Allgund?
Du schweigst, du blickst zur Erd'?
Das bringt dir bittre Stund'!
Allgund, was hast du gehört?" –

"Ich lausch' deines Rosses Klang,
Ich späh' deiner Augen Schein,
So kam ich hinab den Hang.
Nun tue, was Not mag sein." –

"O Frau!" sprach Jakob Port,
"Da habt Ihr schlimmes Spiel!
Grad' sprach der Herr ein Wort,
Das sich vermaß gar viel."

Sprach Kurt: "Ich sag' es rund,
Viel lieber den Wolf im Stall,
Als eines Weibes Mund
Zum Hüter in solchem Fall."

Da sah der Graf sie an,
Zu Einem und zu Zwein;
Drauf sprach zur Fraue der Mann:
"Wohl weiß ich, du bist mein.

Als du gefangen lagst
Um mich ein ganzes Jahr
Und keine Silbe sprachst:
Da ward deine Treu' mir klar.

So schwöre mir denn sogleich:
Sei's wenig oder auch viel,
Was du vernahmst am Teich,
Dir sei's wie Rauch und Spiel.

Als seie nichts geschehn,
So muss ich völlig meinen;
Darf dich nicht weinen sehn,
Darfst mir nicht bleich erscheinen.

Denk' nach, denk' nach, Allgund!
Was zu verheißen Not.
Die Wahrheit spricht dein Mund,
Ich weiß, und brächt' es Tod."

Und konnte sie sich besinnen,
Verheißen hätte sie's nie;
So war sie halb von Sinnen,
Sie schwur, und wusste nicht wie.

II
Und als das Morgengrau
In die Kemnate sich stahl,
Da hatte die werte Frau
Geseufzt schon manches Mal;

Manch Mal gerungen die Hand,
Ganz heimlich wie ein Dieb;
Rot war ihrer Augen Rand,
Todblass ihr Antlitz lieb.

Drei Tage kredenzt' sie den Wein
Und saß beim Mahle drei Tag',
Drei Nächte in steter Pein
In der Waldkapelle sie lag.

Wenn er die Wacht besorgt,
Der Torwart sieht sie gehn,
Im Walde steht und horcht
Der Wilddieb dem Gestöhn.

Am vierten Abend sie saß
An ihres Herren Seit',
Sie dreht' die Spindel, er las,
Dann sahn sie auf, alle beid'.

"Allgund, bleich ist dein Mund!"
"Herr, 's macht der Lampe Schein."
"Deine Augen sind rot, Allgund!"
"'s drang Rauch vom Herde hinein.

"Auch macht mir's schlimmen Mut,
Dass heut vor fünfzehn Jahren
Ich sah meines Vaters Blut;
Gott mag die Seele wahren!

Lang ruht die Mutter im Dom,
Sind Wen'ge mir verwandt,
Ein' Muhm' noch und ein Ohm:
Sonst ist mir keins bekannt."

Starr sah der Graf sie an:
"Es steht dem Weibe fest,
Dass um den ehlichen Mann
Sie Ohm und Vater lässt."

"Ja, Herr! so muss es sein.
Ich gäb' um Euch die zweie
Und mich noch obendrein,
Wenn's sein müsst', ohne Reue.

Doch, dass nun dieser Tag
Nicht gleich den andern sei,
Lest, wenn ich bitten mag,
Ein Sprüchlein oder zwei."

Und als die Fraue klar
Darauf das heil'ge Buch
Bot ihrem Gatten dar,
Es auf von selber schlug.

Mit Einem Blicke er maß
Der nächsten Sprüche einen;
"Mein ist die Rach'", er las;
Das will ihm seltsam scheinen.

Doch wie so fest der Mann
Auf Frau und Bibel blickt,
Die saß so still und spann,
Dort war kein Blatt geknickt.

Um ihren schönen Leib
Den Arm er düster schlang:
"So nimm die Laute, Weib,
Sing' mir einen lust'gen Sang!" –

"O Herr! mag's Euch behagen,
Ich sing' ein Liedlein wert,
Das erst vor wenig Tagen
Mich ein Minstrel gelehrt.

"Der kam so matt und bleich,
Wollt' nur ein wenig ruhn
Und sprach: im oberen Reich
Sing' man nichts Anderes nun."

Drauf, wie ein Schrei verhallt,
Es durch die Kammer klingt,
Als ihre Finger kalt
Sie an die Saiten bringt:

"Johann! Johann! was dachtest du
An jenem Tag,
Als du erschlugst deine eigne Ruh'
Mit Einem Schlag?
Verderbtest auch mit dir zugleich
Deine drei Gesellen;
O, sieh nun ihre Glieder bleich
Am Monde schwellen!

Weh dir, was dachtest du, Johann,
Zu jener Stund'?
Nun läuft von dir verlornem Mann
Durchs Reich die Kund'!
Ob dich verbergen mag der Wald,
Dich wird's ereilen;
Horch nur, die Vögel singen's bald,
Die Wölf' es heulen!

O weh! das hast du nicht gedacht,
Johann! Johann!
Als du die Rache wahr gemacht
Am alten Mann.
Und wehe! nimmer wird der Fluch
Mit dir begraben,
Dir, der den Ohm und Herrn erschlug,
Johann von Schwaben!"

Aufrecht die Fraue bleich
Vor ihrem Gatten stand,
Der nimmt die Laute gleich,
Er schlägt sie an die Wand.

Und als der Schall verklang,
Da hört man noch zuletzt,
Wie er die Hall' entlang
Den zorn'gen Fußtritt setzt.

III
Von heut' am siebenten Tag'
Das war eine schwere Stund',
Als am Balkone lag
Auf ihren Knien Allgund.

Laut waren des Herzens Schläge:
"O Herr! erbarme dich mein,
Und bracht' ich Böses zuwege,
Mein sei die Buß' allein."

Dann beugt sie tief hinab,
Sie horcht und horcht und lauscht:
Vom Wehre tost es herab,
Vom Forste drunten es rauscht.

War das ein Fußtritt? nein!
Der Hirsch setzt über die Kluft.
Sollt' ein Signal das sein?
Doch nein, der Auerhahn ruft.

"O mein Erlöser, mein Hort!
Ich bin mit Sünde beschwert,
Sei gnädig und nimm mich fort,
Eh' heim mein Gatte gekehrt!

Ach, wen der Böse umgarnt,
Dem alle Kraft er bricht!
Doch hab' ich ja nur gewarnt,
Verraten, verraten ja nicht!

Weh! das sind Rossestritte."
Sie sah sie fliegen durchs Tal
Mit wildem grimmigen Ritte,
Sie sah auch ihren Gemahl.

Sie sah ihn dräuen, genau,
Sie sah ihn ballen die Hand;
Da sanken die Knie der Frau,
Da rollte sie über den Rand.

Und als, zum Schlimmen entschlossen,
Der Graf sprengt' in das Tor,
Kam Blut entgegen geflossen,
Drang unterm Gitter hervor.

Und als er die Hände sah falten
Sein Weib in letzter Not,
Da konnt' er den Zorn nicht halten,
Bleich ward sein Gesicht so rot.

"Weib, das den Tod sich erkor!"
"'s war nicht mein Wille", sie sprach,
Noch eben bracht' sie's hervor.
"Weib, das seine Schwüre brach!"

Wie Abendlüfte verwehen,
Noch einmal haucht sie ihn an;
"Es musst' eine Sünde geschehen –
Ich hab' sie für dich getan!"

Annette von Droste-Hülshoff (Balladen)
Der Knabe im Moor


O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt! –
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstige Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.

Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre!

Voran, voran, nur immer im Lauf,
Voran als woll' es ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!

Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
"Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär' nicht Schutzengel in seiner Näh',
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.

Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, um Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O schaurig war's in der Heide!

Annette von Droste-Hülshoff   (Gedichte über den Tod)
Der Todesengel


's gibt eine Sage, dass wenn plötzlich matt
Unheimlich Schaudern einen übergleite,
Dass dann ob seiner künft'gen Grabesstatt
Der Todesengel schreite.

Ich hörte sie, und malte mir ein Bild
Mit Trauerlocken, mondbeglänzter Stirne,
So schaurig schön, wie's wohl zuweilen quillt
Im schwimmenden Gehirne.

In seiner Hand sah ich den Ebenstab
Mit leisem Strich des Bettes Lage messen,
- So weit das Haupt - so weit der Fuß - hinab!
Verschüttet und vergessen!

Mich graute, doch ich sprach dem Grauen Hohn,
Ich hielt das Bild in Reimes Netz gefangen,
Und frevelnd wagt' ich aus der Totenkron'
Ein Lorbeerblatt zu langen.

O, manche Stunde denk' ich jetzt daran,
Fühl' ich mein Blut so matt und stockend schleichen,
Schaut aus dem Spiegel mich ein Antlitz an -
Ich mag es nicht vergleichen; -

Als ich zuerst dich auf dem Friedhof fand,
Tiefsinnig um die Monumente streifend,
Den schwarzen Ebenstab in deiner Hand
Entlang die Hügel schleifen.

Als du das Auge hobst, so scharf und nah,
Ein leises Schaudern plötzlich mich befangen,
O wohl, wohl ist der Todesengel da
Über mein Grab gegangen!

Annette von Droste-Hülshoff  (Kinderlieder)
Der Weiher


Er liegt so still im Morgenlicht,
so friedlich, wie ein fromm Gewissen;
wenn Weste seinen Spiegel küssen,
des Ufers Blume fühlt es nicht;
Libellen zittern über ihn,
blaugoldne Stäbchen und Karmin,
und auf des Sonnenbildes Glanz
die Wasserspinne führt den Tanz;
Schwertlilienkranz am Ufer steht
und horcht des Schilfes Schlummerliede;
ein lindes Säuseln kommt und geht,
als flüstr' es: Friede! Friede! Friede!

Stille, er schläft! stille, stille!
Libelle, reg' die Schwingen sacht,
das nicht das Goldgewebe schrille,
und, Ufergrün, hab' gute Wacht,
kein Kieselchen lass niederfallen.
Er schläft auf seinem Wolkenflaum,
und über ihn lässt säuselnd wallen
das Laubgewölb der alte Baum;
hoch oben, wo die Sonne glüht,
wieget der Vogel seine Flügel,
und wie ein schlüpfend Fischlein zieht
sein Schatten durch des Teiches Spiegel.
Stille, stille! er hat sich geregt,
ein fallend Reis hat ihn bewegt,
das grad zum Nest der Hänfling trug;
su, su! breit', Ast, dein grünes Tuch -
su, su! nun schläft er fest genug.

Annette von Droste-Hülshoff
Des alten Pfarrers Woche


Sonntag
Das ist nun so ein schlimmer Tag,
Wie der April ihn bringen mag
Mir Schlacken, Schnee und Regen.
Zum dritten Mal in das Gebraus
Streckt Jungfer Anne vor dem Haus
Ihr kupfern Blendlaternchen aus
Und späht längs allen Wegen.

"Wo nur der Pfarrer bleiben kann?
Ach, sicher ist dem guten Mann
Was übern Weg gefahren!
Ein Pfleger wohl, der Rechnung macht
Aus war der Gottesdienst um acht:
Soll man so streifen in der Nacht
Bei Gicht und grauen Haaren!"

Sie schließt die Türe, schüttelt bass
Ihr Haupt und wischt am Brillenglas;
So gut dünkt ihr die Stube;
Im Ofen kracht's, der Lampenschein
Hellt überm Tisch den Sonntagswein,
Und lockend lädt der Sessel ein
Mit seiner Kissengrube.

Pantoffeln – Schlafrock – alles recht!
Sie horcht aufs neu; doch hört sie schlecht,
Es schwirrt ihr vor den Ohren.
"Wie? hat's geklingelt? ei der Daus,
Zum zweiten Male! schnell hinaus!"
Da tritt der Pfarrer schon ins Haus,
Ganz blau und steif gefroren.

Die Jungfrau blickt ein wenig quer,
Begütigend der Pfarrer her,
Wie's recht in diesem Orden.
Dann hustet er: "Nicht Mond noch Stern!
Der lahme Friedrich hört doch gern
Ein christlich Wort am Tag des Herrn,
Es ist mir spät geworden!"

Nun sinkt er in die Kissen fest,
Wirft ab die Kleider ganz durchnässt
Und schlürft der Traube Segen.
Ach Gott! wer nur jahraus, jahrein
In Andrer Dienste lebt allein,
Weiß, was es heißt, beim Sonntagswein
Sich auch ein wenig pflegen.

Montag
"Wenn ich Montags früh erwache,
Wird mir's ganz behaglich gleich;
Montag hat so eigne Sache
In dem kleinen Wochenreich.
Denn die Predigt liegt noch ferne,
Alle Sorgen scheinen leicht;
Keiner kommt am Montag gerne,
Sei's zur Trauung, sei's zur Beicht'.

"Und man darf mir's nicht verdenken,
Will ich in des Amtes Frist
Dem ein freies Stündchen schenken,
Was doch auch zu loben ist.
So erwacht denn, ihr Gesellen
Meiner fleiß'gen Jugendzeit!
Wollt in Reih' und Glied euch stellen,
Alte Bilder, eingeschneit!

"Ilion will ich bekriegen,
Mit Horaz auf Reisen gehn,
Will mit Alexander siegen
Und an Memnons Säule stehn.
Oder auch vergnügt ergründen,
Was das Vaterland gebracht,
Mich mit Kant und Wolf verbünden,
Ziehn mit Laudon in die Schlacht."

Auf der Bücherleiter traben
Sieh den Pfarrer, lustentbrannt,
Sich verschanzen, sich vergraben
Unter Heft und Foliant.
Blättern sieh ihn nicken spüren
Ganz versunken sitzen dann,
Dass mit einer Linie rühren
Du das Buch magst und den Mann.

Doch was kann ihn so bewegen?
Aufgeregt scheint sein Gehirn!
Und das Käppchen ganz verwegen
Drückt er hastig in die Stirn.
Nun beginnt er gar zu pfeifen,
Horch! das Lied vom Prinz Eugen;
Seinen weißen Busenstreifen
Seh' ich auf und niedergehn.

Ha, nun ist der Türk' geschlagen!
Und der Pfarrer springt empor!
Höher seine Brauen ragen,
Senkrecht steht sein Pfeifenrohr.
Im Triumph muss er sich denken
Mit dem Kaiser und dem Staat,
Sieht sich selbst den Säbel schwenken,
Fühlt sich selber als Soldat.

Aber draußen klappern Tritte,
Nach dem Pfarrer fragt es hell,
Der, aus des Gefechtes Mitte,
Huscht in seinen Sessel schnell.
"Ei! das wären saubre Kunden!
Beichtkind und Kommunikant!
Hättet ihr den Pfarr' gefunden
Mit dem Säbel in der Hand!"

Dienstag
Auf der breiten Tenne drehn
Paar an Paar so nett,
Wo die Musikanten stehn,
Geig' und Klarinett
Auch der Brummbass rumpelt drein
Sieht man noch den Bräut'gamsschrein
Und das Hochzeitbett.

Etwas eigen, etwas schlau
Und ein wenig bleich,
Sittsam sieht die junge Frau,
Würdevoll zugleich;
Denn sie ist des Hauses Spross,
Denn sie führt den Ehgenoss'
In ihr Erb' und Reich.

Sippschaft ist ein weites Band,
Geht gar viel hinein;
Hundert Kappen goldentbrannt,
Kreuze funkeln drein;
Wie das drängt und wie das schiebt!
Was sich kennt und was sich liebt,
Will beisammen sein.

Nun ein schallend Vivat bricht
In dem Schwarme aus,
Wo sogar die Tiere nicht
Weigern den Applaus.
Ja, wie an der Krippe fein
Brüllen Ochs und Eselein
Übern Trog hinaus.

Ganz verdutzt der junge Mann
Kaum die Flasche hält,
Späße hageln drauf und dran,
Keiner neben fällt;
Doch er lacht und reicht die Hand.
Nun, er ist für seinen Stand
Schon ein Mann von Welt.

Alte Frauen, schweißbedeckt,
Junge Mägd' im Lauf
Spenden, was der Korb verdeckt,
Reihen ab und auf.
Sieben Tische kann man sehn,
Sieben Kaffeekessel stehn
Breit und glänzend drauf.

Aber freundlich, wie er kam,
Sucht der Pfarrer gut
Drüben unter tausend Kram
Seinen Stab und Hut;
Dankt noch schön der Frau vom Haus;
In die Dämmerung hinaus
Trabt er wohlgemut;

Wandelt durch die Abendruh',
Sinnend allerlei:
"Ei dort ging es löblich zu,
Munter, und nicht frei.
Aber aber aber doch "
Und ein langes Aber noch
Fügt er seufzend bei.

"Wie das flimmert! wie das lacht!
Kanten, Händebreit!"
Ach, die schnöde Kleiderpracht
Macht ihm tausend Leid.
Und nun gar er war nicht blind
Eines armen Mannes Kind;
Nein, das ging zu weit.

Kurz, er nimmt sich's ernstlich vor,
Heut und hier am Steg,
Ja, an der Gemeinde Ohr,
Wächter treu und reg,
Will er's tragen ungescheut;
O, er findet schon die Zeit
Und den rechten Weg.

Mittwoch
Begleitest du sie gern.
Des Pfarrers Lust und Plagen:
Sich gleich an allen Tagen
Triffst du den frommen Herrn.
Der gute Seelenhirt!
Tritt über seine Schwelle;
Da ist er schon zur Stelle
Als des Kollegen Wirt.

In wohlgemeinten Sorgen,
Wie er geschäftig tut!
Doch dämmert kaum der Morgen,
Dies eben dünkt ihm gut.
Am Abend kam der Freund,
Erschöpft nach Art der Gäste;
Nun säubre man aufs beste,
Dass alles nett erscheint.

Nun strahlt die große Kanne,
Die Teller blitzen auf;
Noch scheuert Jungfer Anne
Und horcht mitunter auf.
Ach, sollte sie der Gast
Im alten Jäckchen finden,
Sie müsste ganz verschwinden
Vor dieser Schande Last.

Und was zur Hand tut stehen,
Das reizt den Pfarrer sehr,
Die Jungfer wird's nicht sehen,
Er macht sich drüber her;
Die Schlaguhr greift er an
Mit ungeschickten Händen
Und sucht sie sacht zu wenden:
Der übermütge Mann!

Schleppt Foliantenbürde,
Putzt Fensterglas und Tisch;
Fürwahr, mit vieler Würde
Führt er den Flederwisch.
Am Paradiesesbaum
Die Blätter, zart aus Knochen,
Eins hat er schon zerbrochen,
Jedoch man sieht es kaum.

Und als er just in Schatten
Die alte Klingel stellt
Es kömmt ihm wohl zustatten
Da rauscht es draußen, gelt!
Fidel schlägt an in Hast,
Die Jungfer ist geflüchtet,
Und stattlich aufgerichtet,
Begrüßt der Pfarr' den Gast.

Wie dem so wohl gefallen
Die Aussicht und das Haus,
Wie der entzückt von allen,
Nicht Worte drücken's aus!
Ich sag' es ungeniert,
Sie kamen aus den Gleisen,
Sich Ehre zu erweisen,
Der Gast und auch der Wirt.

Und bei dem Mittagessen,
Das man vortrefflich fand,
Da ward auch nicht vergessen
Der Lehr- und Ehrenstand.
Ich habe viel gehört,
Doch nichts davon getragen,
Nur dieses mag ich sagen:
Sie sprachen sehr gelehrt.

Und sieh nur! drüben schreitet
Der gute Pfarrer just,
Er hat den Gast geleitet
Und spricht aus voller Brust:
"Es ist doch wahr! mein Haus,
So nett und blank da droben,
Ich muss es selber loben,
Es nimmt sich einzig aus."

Donnerstag
Winde rauschen, Flocken tanzen,
Jede Schwalbe sucht das Haus,
Nur der Pfarrer unerschrocken
Segelt in den Sturm hinaus.
Nicht zum besten sind die Pfade,
Aber leidlich würd' es sein,
Trüg' er unter seinem Mantel
Nicht die Äpfel und den Wein.

Ach, ihm ist so wohl zu Mute,
Daß dem kranken Zimmermann
Er die längst gegönnte Gabe
Endlich einmal bieten kann.
Immer muß er heimlich lachen,
Wie die Anne Äpfel las,
Und wie er den Wein stibitzte,
Während sie im Keller saß.

Längs des Teiches sieh ihn flattern,
Wie er rudert, wie er streicht,
Kann den Mantel nimmer zwingen
Mit den Fingern starr und feucht.
Öfters aus dem trüben Auge
Eine kalte Zähre bricht,
Wehn ihm seine grauen Haare
Spinnenwebig ums Gesicht.

Doch, Gottlob! da ist die Hütte,
Und nun öffnet sich das Haus,
Und nun keuchend auf der Tenne
Schüttet er die Federn aus.
Ach, wie freut der gute Pfarrer
Sich am blanken Feuerschein!
Wie geschäftig schenkt dem Kranken
Er das erste Gläschen ein.

Setzt sich an des Lagers Ende,
Stärkt ihm bestens die Geduld,
Und von seinen frommen Lippen
Einfach fließt das Wort der Huld.
Wenn die abgezehrten Hände
Er so fest in seine schließt,
Anders fühlt sich dann der Kranke,
Meint, dass gar nichts ihn verdrießt.

Mit der Einfalt, mit der Liebe
Schmeichelt er die Seele wach,
Kann an jedes Herz sich legen,
Sei es kraftvoll oder schwach.
Aber draußen will es dunkeln,
Draußen tröpfelt es vom Dach;
Lange sehn ihm nach die Kinder,
Und der Kranke seufzt ihm nach.

Freitag
Zu denken in gestandnen Tagen
Der Sorge, die so treulich sann,
Der Liebe, die ihn einst getragen,
Wohl ziemt es jedem Ehrenmann.
Am Lehrer alt, am Schüler mild,
Magst du nicht selten es gewahren;
Und sind sie beide grau von Haaren,
Um desto werter ist das Bild.

Zumeist dem Priester wird beschieden
Für frühe Treue dieser Lohn;
Nicht einsam ist des Alters Frieden,
Der Zögling bleibt sein lieber Sohn.
Ja, was erstarrt im Lauf der Zeit
Und wehrt dem Neuen einzudringen,
Des Herzens steife Flechten schlingen
Sich fester um Vergangenheit.

So lässt ein wenig Putz gefallen
Sich heut der gute Pfarrer gern,
Das span'sche Rohr, die Silberschnallen,
Denn heute geht's zum jungen Herrn.
Der mag in reifen Jahren stehn,
Da ihn erwachsne Kinder ehren,
Allein das kann den Pfarr' nicht stören,
Der ihn vor Zeiten klein gesehn.

Still wandelnd durch des Parkes Linden,
In deren Schutz das Veilchen blüht,
Der Alte muss es freundlich finden,
Dass man so gern ihn Freitags sieht;
Er weiß, dem Junker sind noch frisch
Die lieben längst entschwundnen Zeiten
Und seines Lehrers schwache Seiten:
Ein Gläschen Wein, ein guter Fisch.

Schon tritt er in des Tores Halle;
Da, wie aus reifem Erbsenbeet
Der Spatzen Schar, so hinterm Walle
Hervor es flattert, lacht und kräht,
Der kleinen Junker wilde Schar,
Die still gelauscht im Mauerbogen
Und nun den Pfarrer so betrogen,
So überrumpelt ganz und gar.

Das stürmt auf ihn von allen Seiten,
Das klammert überall sich an;
Fürwahr, mühselig muss er schreiten,
Der müde und geduld'ge Mann.
Jedoch er hat sie allzugern,
Die ihn so unbarmherzig plagen.
Und fast zu viel lässt er sie wagen,
Die junge Brut des jungen Herrn.

Wie dann des Hauses Wirt sich freute,
Der Mann mit früh ergrautem Haar,
Nicht wich von seines Lehrers Seite
Und rückwärts ging um dreißig Jahr;
Wie er in alter Zeiten Bann
Nur flüsternd sprach nach Schüler Weise,
Man sieht es an und lächelt leise,
Doch mit Vergnügen sieht man's an.

Und später beim Spazierengehen
Die beiden hemmen oft den Schritt,
Nach jeder Blume muss man sehen,
Und manche Pflanze wandert mit.
Der eine ist des Amtes bar,
Nichts hat der andre zu regieren;
Sie gehn aufs neu' botanisieren,
Der Theolog und sein Scholar.

Doch mit dem Abend naht das Scheiden,
Man schiebt es auf, doch kommt's heran,
Die Kinder wollen's gar nicht leiden.
Am Fenster steht der Edelmann
Und spinnt noch lange, lange aus
Vielfarb'ger Bilder bunt Gezwirne;
Dann fährt er über seine Stirne
Und atmet auf und ist zu Haus.

Samstag
Wie funkeln hell die Sterne,
Wie dunkel scheint der Grund,
Und aus des Teiches Spiegel
Steigt dort der Mond am Hügel
Grad um die elfte Stund'.

Da hebt vom Predigthefte
Der müde Pfarrer sich;
Wohl war er unverdrossen,
Und endlich ist's geschlossen
Mit langem Federstrich.

Nun öffnet er das Fenster,
Er trinkt den milden Duft,
Und spricht: "Wer sollt' es sagen,
Noch Schnee vor wenig Tagen,
Und dies ist Maienluft."

Die strahlende Rotunde
Sein ernster Blick durchspäht,
Schon will der Himmelswagen
Die Deichsel abwärts tragen:
"Ja, ja, es ist schon spät!"

Und als dies Wort gesprochen,
Es fällt dem Pfarrer auf,
Als müss' er eben deuten
Auf sich der ganz zerstreuten,
Arglosen Rede Lauf.

Nie schien er sich so hager,
Nie fühlt' er sich so alt,
Als seit er heut begraben
Den langen Moritz Raben,
Den Förster dort vom Wald.

Am gleichen Tag geboren,
Getauft am gleichen Tag!
Das ist ein seltsam Wesen
Und lässt uns deutlich lesen,
Was wohl die Zeit vermag!

Der Nacht geheimes Funkeln,
Und dass sich eben muss,
Wie Mondesstrahlen steigen,
Der frische Hügel zeigen,
Das Kreuz an seinem Fuß:

Das macht ihn ganz beklommen,
Den sehr betagten Mann,
Er sieht den Flieder schwanken,
Und längs des Hügels wanken
Die Schatten ab und an.

Wie oft sprach nicht der Tote
Nach seiner Weise kühn:
"Herr Pfarr', wir alten Knaben,
Wir müssen sachte traben,
Die Kirchhofsblumen blühn."

"So mögen sie denn blühen!"
Spricht sanft der fromme Mann,
Er hat sich aufgerichtet,
Sein Auge, milde umlichtet,
Schaut fest den Äther an.

"Hast du gesandt ein Zeichen
Durch meinen eignen Mund,
Und willst mich gnädig mahnen
An unser Aller Ahnen
Uralten ew'gen Bund;

Nicht lässig sollst du finden
Den, der dein Siegel trägt,
Doch nach dem letzten Sturme"
Da eben summt's vom Turme,
Und zwölf die Glocke schlägt

"Ja, wenn ich bin entladen
Der Woche Last und Pein,
Dann führe, Gott der Milde,
Das Werk nach deinem Bilde
In deinen Sonntag ein."

Annette von Droste-Hülshoff (Politik Gedichte)
Die beste Politik


Von allem, was zu Leid und Frommen
Bisher das Leben mir gebracht,
Ist manches unverhofft gekommen,
Und manches hatt' ich überdacht;
Doch seltsam! wo ich schlau und fein
Mich abgesorgt zu grauen Haaren,
Da bin ich meistens abgefahren,
Und Unverhofftes schlug mir ein.

Ein jeder kommt doch gern zu Brode,
Doch blieben mir die Gönner kalt,
Tat ich gleich klein wie eine Lode
Gen einen mächt'gen Eichenwald;
Und nur der ärmliche Student,
Bei dem ich manche Nacht verwachte,
Als Mangel ihn aufs Lager brachte,
Der dachte mein als Präsident.

Den Frauen will man auch gefallen,
Zumal, sieht man nicht übel aus
In die Salons sah man mich wallen,
Verschmitzt hinein, verdutzt heraus;
Und nur die täglich recht und schlicht
Mich wandeln sah im eignen Hause,
Die trug in meine kleine Klause
Des Lebens süßestes Gedicht.

Auch Ruhm ist gar ein scharfer Köder,
Ich habe manchen Tag verschwitzt,
Verschnitzelt hab' ich manche Feder,
Und bin doch schmählich abgeblitzt;
Und nur als ich, entmutigt ganz,
Gedanken flattern ließ wie Flocken,
Da plötzlich fiel auf meine Locken
Ein junger frischer Lorbeerkranz.

So hab' aus allem ich gezogen
Das treue Fazit mir zuletzt:
Dass dem das Glück zumeist gewogen,
Der es am mindesten gehetzt;
Und dass, wo Wirken ein Geschick
Nach eigner Willkür kann bereiten,
Nur Offenheit zu allen Zeiten
Die allerbeste Politik.

Annette von Droste-Hülshoff (Gedichte über das Leben)
Die Verbannten


Ich lag an Bergeshang,
Der Tag war schon gesunken,
In meine Wimper drang
Des Westen letzter Funken.
Ich schlief und träumte auch vielleicht,
Doch hört' ich noch der Amsel Pfeifen,
Wie Echos letzte Hauche, feucht
Und halb verlöscht, am Schilfe streifen.

Mein äußres Auge sank,
Mein innres ward erschlossen:
Wie wild die Klippenbank!
Wie grau die Moose sprossen!
Der Öde Odem zog so schwer,
Als ob er siecher Brust entgleite;
Wohin ich blickte, Rohres Speer,
Und Dorngestrüpp und Waldesweite.

Im Grase knistert' es,
Als ob die Grille hüpfte,
Im Strauche flüstert' es,
Als ob das Mäuslein schlüpfte;
Ein morscher, halbverdorrter Stamm
Senkte die bräunliche Gardine,
Zu Füßen mir der feuchte Schwamm
Und überm Haupt die wilde Biene.

Da raschelt' es im Laub,
Und rieselte vom Hange,
Zertretnen Pilzes Staub
Flog über meine Wange.
Und neben mir ein Knabe stand,
Ein blondes Kind mit Taubenblicken,
Das eines blinden Greises Hand
Schien brünstig an den Mund zu drücken.

Von linder Tränen Lauf
Sein Auge glänzte trübe,
»Steh auf,« sprach es, »steh auf!
Ich bin die Kindesliebe,
Verbannt, zum wüsten Wald verbannt,
Ins öde Dickicht ausgesetzet,
Wo an des sumpf'gen Weihers Rand
Der Storch die kranken Eltern ätzet!«

Dann faltete es hoch
Die hagern Händchen beide,
Und sachte abwärts bog
Es des Geröhres Schneide.
Ich sah wie blut'ge Striemen leis
An seinen Ärmchen niederflossen,
Wie tappend ihm gefolgt der Greis,
Bis sich des Rohres Wand geschlossen.

Ich ballte meine Hand,
Versuchte mich zu schwingen,
Doch fester, fester wand
Der Taumel seine Schlingen.
Und wieder hörte ich den Schlag
Der Amsel und der Grille Hüpfen,
Und wieder durch den wilden Hag
Der Biene sterbend Sumsen schlüpfen.

Da schleift' es, schwer wie Blei,
Da flüstert' es aufs neue:
»O wache! steh mir bei!
Ich bin die Gattentreue.«
Das Auge hob ich, und ein Weib
Sah ich wie halbgebrochen bücken,
Das eines Mannes wunden Leib
Mühselig trug auf seinem Rücken.

Ein feuchter Schleier, hing
Ihr Haar am Antlitz nieder,
Des Schweißes Perle fing
Sich in der Wimper wieder.
»Verbannt! verbannt zum wilden Wald,
Wo Nacht und Öde mich umschauern!
Verbannt, wo in der Felsen Spalt
Die Tauben um den Tauber trauern!«

Sie sah mich lange an,
Im Auge Sterbeklagen,
Und langsam hat sie dann
Den Wunden fortgetragen.
Sie klomm den Klippensteig entlang,
Ihr Ächzen scholl vom Steine nieder,
Wo grade unterm Schieferhang
Sich regte bläuliches Gefieder.

Ich dehnte mich mit Macht
Und langte nach dem Wunden,
Doch als ich halb erwacht,
Da war auch er verschwunden,
Zerronnen wie ein Wellenschaum; -
Ich hörte nur der Wipfel Stöhnen,
Und unter mir, an Weihers Saum,
Der Unken zart Geläute tönen.

Die Glöckchen schliefen ein,
Es schwoll der Kronen Rauschen,
Ein Licht wie Mondenschein
Begann am Ast zu lauschen,
Und lauter raschelte der Wald,
Die Zweige schienen sich zu breiten,
Und eine dämmernde Gestalt
Sah ich durch seine Hallen gleiten.

Das Kreuz in ihrer Hand,
Um ihre Stirn die Binde,
Ihr langer Schleier wand
Und rollte sich im Winde.
Sie trat so sacht behutsam vor,
Als ob sie jedes Kräutlein schone;
O Gott, da sah ich unterm Flor -
Sah eine blut'ge Dornenkrone!

Die Fraue weinte nicht
Und hat auch nicht gesprochen,
Allein ihr Angesicht
Hat mir das Herz gebrochen,
Es war wie einer Königin
Pilgernd für ihres Volkes Sünden;
Wo find' ich Worte, wo den Sinn,
Um diesen Dulderblick zu künden!

Als sie vorüber schwand
Mit ihren blut'gen Haaren,
Da riss des Schlummers Band,
Ich bin emporgefahren.
Der Amsel Stimme war verstummt,
Die Mondenscheibe stand am Hügel,
Und über mir im Aste summt'
Und raschelte des Windes Flügel.

Ob es ein Traumgesicht,
Das meinen Geist umflossen?
Vielleicht ein Seherlicht,
Das ihm geheim erschlossen?
O wer, dem eine Trän' im Aug',
Den fromme Liebe je getragen,
Wer wird nicht, mit dem letzten Hauch,
Die heiligen Verbannten klagen!

Annette von Droste-Hülshoff (Balladen)
Die Vendetta

I
Ja, einen Feind hat der Kors', den Hund,
Luigi, den hagern Podesta,
Der den Ohm, so stark und gesund,
Ließ henken, den kühnen di Vesta.
Er und der rote Franzose Jocliffe,
Die beiden machten ihn hangen,
Aber der ging zu dem Schmugglerschiff
Und liegt seit Monden gefangen.

Steht im Walde Geronimo,
Und klirrend zieht aus der Scheide
Er das Messer, so und so
An der Sohle wetzt er die Schneide;
Gleitet dann in die Dämmerung,
Dem Feinde auf Tod und Leben
Mit des Tieres Verstümmelung
Ein korsisch Kartell zu geben.

Schau! wie Zweig an Zweige er streicht,
– Kaum flüsternd die Blätter schwanken, –
Gleich der gleißenden Boa leicht
Hinquillt durch Gelaub und Ranken;
Drüber träufelt das Mondenlicht,
Wie heimlicher Träne Klage
Durch eine dunkele Wimper bricht.
Nun kniet der Korse am Hage.

Dort der Anger, – und dort am Hang
Die einsam weidende Stute,
Langsam schnaubt sie den Rain entlang;
Aus andalusischem Blute,
Hoch, schneeschimmernd, zum Grund gebeugt
Den mähnumfluteten Nacken,
Nah sie, näher dem Hagen steigt –
Nun wird der Korse sie packen!

Schon erfasst er der Schneide Griff,
Er reckt sich über dem Kraute,
Da – ein Geknister und – still! ein Pfiff,
Und wieder – summende Laute!
Und es schreitet dem Hage zu,
Grad' wo Geronimo knieet,
Nieder gleitet der Kors' im Nu,
Ha, wie er keuchet und glühet!

Dicht an ihm – der Mantel streift,
Die Ferse könnt' er ihm fassen –
Steht der hagre Podest' und pfeift;
"Sorella!" ruft er gelassen,
Und "Sorella, mein kluges Tier!"
Der Lauscher höret es stampfen,
Über ihm, mit hellem Gewieh'r,
Zwei schnaubende Nüstern dampfen.

Freundlich klatscht Luigi den Bug,
Liebkosend streicht er die Mähnen,
Hat nicht zärtlicher Worte genug,
Er spricht wie zu seiner Schönen.
Ein Blitz aus glühendem Aug',
Und rückwärts taumelt die Stute.
"Ei, Sorella, was fehlt dir auch?
Mein Töchterchen, meine Gute."

Kandiszucker langt er hervor;
Ha, wie ihre Nüstern blasen!
Wie sie naschet, gespitzt das Ohr,
Und immer glotzet zum Rasen!
Einen Blick der Podesta scheu
Schießt über die glitzernde Aue,
Rückt am Dolche, und dann aufs neu:
"Mein Schimmelchen, meine Graue!"

Wie er über den Hag sich biegt,
Am Nacken des Tieres gleitet,
Auf Gerominos Auge liegt
Des Feindes Mantel gebreitet;
O, nie hat so heiß und schwer
Geronimo, nie gelegen,
Jede Muskel im Arm fühlt er
Wie eine Viper sich regen.

Doch er ist ein gläubiger Christ,
Geht jede Woche zur Beichte,
Hat voll Andacht noch heut geküsst
Christoforos heilige Leuchte.
Sünde wär's, das Messer im Schlund
Des Ungewarnten zu bergen,
Sonst – alleine, allein der Hund!
Bewaffnet und ohne Schergen!

Eine Minute, die schnell vergeht,
Der Korse gen Himmel schaute,
Zum Patrone ein Stoßgebet,
Dann fährt er empor vom Kraute;
Blank die Waffe, den Bug geschlitzt,
Dann wie ein Vogel zum Walde –
Schreiend vom Hange die Stute blitzt,
Der Richter starrt an der Halde.

II
Mittagsstunde – der Sonnenpfeil
Prallt an des Weihen Gefieder,
Der vom Gesteine grau und steil
Blinzt in die Pinien nieder.
Schwarz der Wald, eine Wetternacht,
Die aus dem Äther gesunken,
Drüber der Strahl in Siegespracht
Tanzt auf dem Feinde wie trunken.

Plötzlich zuckt, es flattert der Weih
Und klatscht in taumelnden Ringen,
Überm Riffe sein wilder Schrei,
Dann steigt er, wiegend die Schwingen;
Und am Grunde es stampft und surrt,
Hart unter dem Felsenmale,
Netz im Haare, Pistol' im Gurt,
Zwölf Schergen reiten zu Tale.

Wo den Schatten verkürzt das Riff
Wirft über die zitternde Aue,
Starrt gefesselt der rote Jocliffe
Hinauf zum Vogel ins Blaue.
Dürr seine Zunge – kein Tropfen labt –
Er lacht in grimmigem Hohne,
Neben ihm der Podesta trabt
Und pfeift sich eine Kanzone.

Rüstig stampfen die Rosse fort,
Dann "Halt! " Es lagert die Bande;
Hier ein Scherge, ein anderer dort,
Gestreckt im knisternden Sande.
Die Zigarre lässt an den Grund
Ihr bläuliches Wölkchen schwehlen,
Und der Schlauch, von Mund zu Mund,
Strömt in die durstigen Kehlen.

Wie so lockend die Taube lacht
Aus grünem, duftigem Haine!
Von den Zwölfen heben sich acht,
Sie schlendern entlang das Gesteine,
Lässig, spielend, so sorgenbar
Wie junge Geier im Neste,
Dieser zupfet des Nachbars Haar,
Der schnitzelt am Zwiebelreste.

Einer so nach dem andern schwankt
Ins Grün' aus der sengenden Hitze,
Halt! wie elektrisch Feuer rankt
Von Aug' zu Aug' ein Geblitze.
Horch, sie flüstern! Zwei und zwei,
Die Pinien streifen sie leise,
Wie die Hinde witternd und scheu
Schlüpft über befahrene Gleise.

Zwei am Hange und zwei hinab
Und vier zur Rechten und Linken,
Sachte beugen den Ast sie ab,
Ihre Augen wie Vipern blinken,
Da – im Moose ein dürrer Baum
Mit wunderlich brauner Schale –
Hui! ein Pfiff auf gekrümmtem Daum –
Und dort – und drunten im Tale.

Fährt vom Moose Geronimo,
Und eh ihn die Schergen umschlingen,
Wie im Haid' die knisternde Loh',
Ha! sieh ihn flattern und springen!
Knall auf Knall, eine Kugel pfeift
Ihm durch der Retilla Knoten,
Blutend er an dem Gesteine läuft
Bis zum Jocliffe, dem roten.

Hoch die Rechte – will er schnell
Sich rächen zu dieser Stunde!
Nein, am Rosse schreibt das Kartell
Er rasch mit klaffender Wunde.
Hoch die Linke – es knallt, es blitzt,
Und taumelnd sinkt der Podesta;
Ruft der Korse: "So hab' es itzt,
Du Hund, für den kühnen di Vesta!"

O Geronimo! hätten dich fort,
Fort, fort deine Sprünge getragen,
Als die einen am Rufe dort,
Die andern klommen am Hagen!
Schwerlich heute, so mein' ich klar,
Sie würden die Stadt erschrecken
Mit der Leiche auf grüner Bahr'
Und mit dir, gebunden am Schecken!

Annette von Droste-Hülshoff  (Balladen)
Die Vergeltung

I
Der Kapitän steht an der Spiere,
Das Fernrohr in gebräunter Hand,
Dem schwarzgelockten Passagiere
Hat er den Rücken zugewandt.
Nach einem Wolkenstreif in Sinnen
Die beiden wie zwei Pfeiler sehn,
Der Fremde spricht: "Was braut da drinnen?"
"Der Teufel", brummt der Kapitän.

Da hebt von morschen Balkens Trümmer
Ein Kranker seine feuchte Stirn,
Des Äthers Blau, der See Geflimmer,
Ach, alles quält sein fiebernd Hirn!
Er lässt die Blicke, schwer und düster,
Entlängs dem harten Pfühle gehn,
Die eingegrabnen Worte liest er:
"Batavia. Fünfhundert Zehn."

Die Wolke steigt, zur Mittagsstunde
Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,
Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde,
Die Bohlen weichen mit Gestöhn.
"Jesus, Marie! wir sind verloren!"
Vom Mast geschleudert der Matros,
Ein dumpfer Krach in aller Ohren,
Und langsam löst der Bau sich los.

Noch liegt der Kranke am Verdecke,
Um seinen Balken fest geklemmt,
Da kömmt die Flut, und eine Strecke
Wird er ins wüste Meer geschwemmt.
Was nicht geläng der Kräfte Sporne,
Das leistet ihm der starre Krampf,
Und wie ein Narwall mit dem Horne
Schießt fort er durch der Wellen Dampf.

Wie lange so? er weiß es nimmer,
Dann trifft ein Strahl des Auges Ball,
Und langsam schwimmt er mit der Trümmer
Auf ödem glitzerndem Kristall.
Das Schiff! – die Mannschaft! – sie versanken.
Doch nein, dort auf der Wasserbahn,
Dort sieht den Passagier er schwanken
In einer Kiste morschem Kahn.

Armselge Lade! sie wird sinken,
Er strengt die heisre Stimme an:
"Nur grade! Freund, du drückst zur Linken!"
Und immer näher schwankt's heran,
Und immer näher treibt die Trümmer,
Wie ein verwehtes Möwennest;
"Courage!" ruft der kranke Schwimmer,
"Mich dünkt ich sehe Land im West!"

Nun rühren sich der Fähren Ende,
Er sieht des fremden Auges Blitz,
Da plötzlich fühlt er starke Hände,
Fühlt wütend sich gezerrt vom Sitz.
"Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen."
Er klammert dort, er klemmt sich hier;
Ein heisrer Schrei, den Wellen dämpfen,
In Balken schwimmt der Passagier.

Dann hat er kräftig sich geschwungen,
Und schaukelt durch das öde Blau,
Er sieht das Land wie Dämmerungen
Enttauchen und zergehn in Grau.
Noch lange ist er so geschwommen,
Umflattert von der Möwe Schrei,
Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,
Viktoria! nun ist er frei!

II
Drei kurze Monde sind verronnen,
Und die Fregatte liegt am Strand,
Wo mittags sich die Robben sonnen,
Und Bursche klettern übern Rand,
Den Mädchen ist's ein Abenteuer
Es zu erschaun vom fernen Riff,
Denn noch zerstört ist nicht geheuer
Das greuliche Korsarenschiff.

Und vor der Stadt da ist ein Waten,
Ein Wühlen durch das Kiesgeschrill,
Da die verrufenen Piraten
Ein jeder sterben sehen will.
Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,
Hat man den Galgen, dicht am Meer,
In wüster Eile aufgezimmert.
Dort dräut er von der Düne her!

Welch ein Getümmel an den Schranken! –
"Da kömmt der Frei – der Hessel jetzt –
Da bringen sie den schwarzen Franken,
Der hat geleugnet bis zuletzt."
"Schiffbrüchig sei er hergeschwommen",
Höhnt eine Alte: "Ei, wie kühn!
Doch keiner sprach zu seinem Frommen,
Die ganze Bande gegen ihn."

Der Passagier, am Galgen stehend,
Hohläugig, mit zerbrochnem Mut,
Zu jedem Räuber flüstert flehend:
"Was tat dir mein unschuldig Blut!
Barmherzigkeit! – so muss ich sterben
Durch des Gesindels Lügenwort,
O mög die Seele euch verderben!"
Da zieht ihn schon der Scherge fort.

Er sieht die Menge wogend spalten –
Er hört das Summen im Gewühl –
Nun weiß er, daß des Himmels Walten
Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!
Und als er in des Hohnes Stolze
Will starren nach den Ätherhöhn,
Da liest er an des Galgens Holze:
"Batavia. Fünfhundert Zehn."

Annette von Droste-Hülshoff   (Geburtstagsgedichte)
Vor vierzig Jahren


Da gab es doch ein Sehnen,
Ein Hoffen und ein Glühn,
Als noch der Mond "durch Tränen
In Fliederlauben" schien,
Als man dem "milden Sterne"
Gesellte was da lieb,
Und "Lieder in die Ferne"
Auf sieben Meilen schrieb!

Ob dürftig das Erkennen,
Der Dichtung Flamme schwach,
Nur tief und tiefer brennen
Verdeckte Gluten nach.
Da lachte nicht der leere,
Der übersatte Spott,
Man baute die Altäre

Dem unbekannten Gott.
Und drüber man den Brodem
Des liebsten Weihrauchs trug,
Lebend'gen Herzens Odem,
Das frisch und kräftig schlug,
Das schamhaft, wie im Tode,
In Traumes Wundersarg
Noch der Begeistrung Ode
Der Lieb' Ekloge barg.

Wir höhnen oft und lachen
Der kaum vergangnen Zeit,
Und in der Wüste machen
Wie Strauße wir uns breit.
Ist Wissen denn Besitzen?
Ist denn Genießen Glück?
Auch Eises Gletscher blitzen
Und Basiliskenblick.

Ihr Greise, die gesunken
Wie Kinder in die Gruft,
Im letzten Hauche trunken
Von Lieb' und Ätherduft,
Ihr habt am Lebensbaume
Die reinste Frucht gepflegt,
In karger Spannen Raume
Ein Eden euch gehegt.

Nun aber sind die Zeiten,
Die überwerten, da,
Wo offen alle Weiten,
Und jede Ferne nah.
Wir wühlen in den Schätzen,
Wir schmettern in den Kampf,
Windsbräuten gleich versetzen
Uns Geistesflug und Dampf.

Mit unsres Spottes Gerten
Zerhaun wir was nicht Stahl,
Und wie Morganas Gärten
Zerrinnt das Ideal;
Was wir daheim gelassen
Das wird uns arm und klein,
Was Fremdes wir erfassen
Wird in der Hand zu Stein.
Es wogt von End' zu Ende,
Es grüßt im Fluge her,
Wir reichen unsre Hände,
- Sie bleiben kalt und leer. -
Nichts liebend, achtend wen'ge
Wird Herz und Wange bleich,
Und bettelhafte Kön'ge
Stehn wir im Steppenreich.

Annette von Droste-Hülshoff
Die Schulen


Kennst du den Saal? - ich schleiche sacht vorbei:
"Der alte Teufel tot, die Götter neu" -
Und was man Großes sonst darin mag hören.
Wie üppig wogend drängt der Jugend Schwarm!
Wie reich und glänzend! - aber ich bin arm,
Da will ich lieber eure Lust nicht stören.

Dann das Gewölb' - mir wird darin nicht wohl,
Wo man der Gruft den modernden Obol
Entschaufelt und sich drüber legt zum Streite;
Ergraute Häupter nicken rings herum,
Wie weis' und gründlich! - aber ich bin dumm,
Da schleich' ich lieber ungesehn bei Seite.

Doch die Katheder im Gebirge nah
Der Meister unsichtbar, doch laut Hurrah
Ihm Wälder, Strom und Sturmesflügel rauschen,
Matrikel ist des Herzens frischer Schlag,
Da will zeitlebens ich, bei Nacht und Tag,
Demüt'ger Schüler, seinen Worten lauschen.

Annette von Droste-Hülshoff
Alte und neue Kinderzucht


I.
In seiner Buchenhalle saß ein Greis auf grüner Bank,
Vor ihm, in grünlichem Pokal, der Rebe Feuertrank;
Zur Seite seiner Jugend Spross, sich lehnend an den Zweigen,
Ein ernster Vierziger, vernahm des Alten Wort in Schweigen.

»Sohn«, sprach der Patriarch, es klang die Stimme schier bewegt:
»Das Kissen für mein Sterbebett du hast es weich gelegt;
Ich weiß es, eine Träne wird das Leichentuch mir netzen,
In meinen Sessel wird dereinst ein Ehrenmann sich setzen.

»Zu Gottes Ehr' und deiner Pflicht und nach der Vordern Art,
Zog ich in aller Treue dich, als schon dein Kinn behaart.
Nicht will die neue Weise mir zum alten Haupte gehen,
Ein Sohn hat seinen Herrn, so lang zwei Augen offen stehen.

»Mein Vater, - tröst' ihn Gott, er fiel in einem guten Strauß! -
War Diener seinem Fürsten und ein König seinem Haus,
Sein treues Auge wusste wohl der Kinder Heil zu wahren,
Den letzten Schlag von seiner Hand fühlt' ich mit zwanzig Jahren.

»So macht' er mich zum Mann, wie du, mein Sohn, zum frohen Greis,
Zum Mann, der tragen kann und sich im Glück zu fassen weiß,
Wie mag, wer seiner Launen Knecht, ein Herrenamt bezwingen?
Wer seiner Knospe Kraft verprasst, wie möcht' er Früchte bringen?

»Nur von der Pike dient sich's recht zum braven General.
Gesegnet sei die Hand, die mir erspart der Torheit Wahl!
Mit tausend Tränen hab' ich sie in unsre Gruft getragen;
Denn eines Vaters heil'ge Hand hat nie zu hart geschlagen.

»Mein Haar ist grau, mein blödes Aug' hat deinen Spross gesehn;
Bald füllst du meinen Sitz, und er wird horchend vor dir stehn.
Gedenk der Rechenschaft, mein Sohn, lehr' deinen Blick ihn lesen,
Gehorsam sei er dir, wie du gehorsam mir gewesen!«

So sprach der Patriarch, und schritt entlang die Buchenhall',
Ehrfürchtig folgte ihm der Sohn, wie Fürsten der Vasall,
Und seinen Knaben winkt' er sacht herbei vom Blütenhagen,
Ließ küssen ihn des Alten Hand, und seinen Stab ihn tragen.

II.
An blühender Akazie lehnt ein blonder, bleicher Mann,
Sehr mangelt ihm der Sitz, allein die Kinder spielen dran,
So schreibt er stehend, immer Ball und Peitschenhieb gewärt'gend,
Schnellfingrig für die Druckerei den Lückenbüßer fert'gend:

»In Osten steigt das junge Licht, es rauscht im Eichenhain,
Schon schlang der alte Erebus die alten Schatten ein,
Des Geistes Siegel sind gelöst, der Äther aufgeschlossen,
Und aus vermorschter Dogmen Staub lebend'ge Zedern sprossen.

»O Geistesfessel, härter du als jemals ein Tyrann,
Geschlagen um des Sklaven Leib, du tausendjähr'ger Bann!
Geheim doch sicher hat der Rost genagt an deinem Ringe,
Nun wackelt er und fürchtet sich vor jedes Knaben Klinge!

»Hin ist die Zeit, wo ein Gespenst im Büßermantel schlich,
In seinen Bettelsack des Deutschen Gold und Ehre strich,
Wo Greise, Schulmonarchen gleich, die stumpfe Geißel schwenkten,
Des Sonnenrosses Zaum dem Grab verfallne Hände lenkten.

»Nicht wird im zarten Kinde mehr des Mannes Keim erstickt,
Frei schießt die Eichenlode, unbeengt und ungeknickt;
Was mehr als Wissen, wirkender als Gaben, die zerstückelt -
Des kräft'gen Wollens Einheit wird im jungen Mark entwickelt.

»Wir wuchsen unter Peitschenhieb an der Galeere auf,
Und dennoch riss das Dokument vom schnöden Seelenkauf
Durch deutsche Hand, durch unsre Hand, die, nach Ägyptens Plagen,
Noch immer stark genug, den Brand ans Bagnotor zu tragen!

»Doch ihr, die ihr den ganzen Saft der Muttererde trinkt,
An deren Zweig das erste Blatt schon wie Smaragde blinkt,
Ihr!« - unser Dichter stutzt - er hört an den Holundersträuchen
Sein Erstlingsreis, den Göttinger, wie eine Walze keuchen.

Und auf der Bank - sein Manuskript - o Pest! sein Dichterkranz, -
Dort fliegt er, droben in der Luft, als langer Drachenschwanz!
Und - was? ein Guss? - bei Gott, da hängt der Bub, die wilde Katze,
Am Ast, und leert den Wasserkrug auf seines Vaters Glatze!

Annette von Droste-Hülshoff (Gedichte über das Leben)
Die Gaben


Nie fand, so oft auch scherzend ward gefragt,
Ich einen Mann, vom Grafen bis zum Schneider,
Der so bescheiden oder so betagt,
So hülflos - keinen so Gescheiten leider,

Der nicht gemeint, des Herrschertumes Bürde
Sei seinen Schultern grad das rechte Maß.
War einer zweifelnd je an seiner Würde,
So schätzt' er seine Kräfte desto bass:

Der hoffte auf der Rede Zauberbann,
Schlau aus dem Winkel wollte jener zielen,
Kurz, dass er wisse, wie, und auch den Mann,
Ließ jeder deutlich durch die Blume spielen.

Ihr Toren! glaubt ihr denn, dass Gott im Zorne
Die Großen schuf, ungleich der Menschenschar,
Pecus inane , das sein Haupt zum Borne
Hinstreckt wie weiland Nebukadnezar?

Dass, weil zuweilen unter Zotten schlägt
Ein Herz, wo große Elemente schlafen,
Deshalb, wer eine feine Wolle trägt
Unfehlbar zahlt zu den Merinoschafen?

Dass langes Schauen zweifellos erblinde,
Und wer den Fäden rastlos nachgespürt,
Dass dieser, gleich dem überreizten Kinde,
So dümmer wird je länger er studiert?

Wer zweifelt, dass ein Herz, wie's Throne schmückt,
Gar oft am Acker frönt und Forstgehege,
Dass manche Scheitel sich zur Furche bückt,
Hochwert, dass eine Krone drauf man lege?

Doch ihr, des Lebens abgehetzten Alten,
Ihr innerlichen Greise, seid es nicht;
Bewahr' der Himmel uns vor eurem Walten,
Vor dem im Sumpfe angebrannten Licht!

Ihr würdet mahnen an des Fröhners Sohn,
Der, woll' ihm Gott ein Königreich verschreiben,
Für's Leben wüsste keinen bessern Lohn,
Als seine Schweine dann zu Ross zu treiben.

Annette von Droste-Hülshoff (Wintergedichte)
Winter (aus "Der Säntis")


Aus Schneegestäub' und Nebelqualm
Bricht endlich doch ein klarer Tag;
Da fliegen alle Fenster auf,
Ein Jeder späht, was er vermag.

Ob jene Blöcke Häuser sind?
Ein Weiher jener ebne Raum?
Fürwahr, in dieser Uniform
Den Glockenturm erkennt man kaum;

Und alles Leben liegt zerdrückt,
Wie unterm Leichentuch erstickt.
Doch schau! an Horizontes Rand
Begegnet mir lebend'ges Land.

Du starrer Wächter, lass' ihn los
Den Föhn aus deiner Kerker Schoß!
Wo schwärzlich jene Riffe spalten,
Da muss er Quarantaine halten,
Der Fremdling aus der Lombardei;
O Säntis, gib den Thauwind frei!

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